P. Cicatelli gibt in seiner „Vita manoscritta del P. Camillo de Lellis“ einen kurzen Rückblick auf den Weg, den Kamillus und die Seinen zurückgelegt hatten, und schreibt: „Es stimmt, dass seine erste Absicht nichts anderes war, als die Gemeinschaft ‚Diener der Kranken' im Spital San Giacomo zu gründen. Gott aber ließ ihn auf solchen Widerstand stoßen, dass dadurch die Gründung außerhalb des Spitals bei der Kirche ‚La Vergine dei miracoli' zustande kam und dass er andere Spitäler in ihre Arbeit mit einbezog. Kamillus dachte an eine Gemeinschaft von Laien. Gott aber lenkte es so, dass sich Kleriker und Priester der Gemeinschaft anschlossen und dass Kamillus selber der erste war, der zum Priester geweiht wurde. Kamillus dachte an eine Gemeinschaft, deren Mitglieder nicht durch Gelübde gebunden sind. Gott aber ordnete es so, dass die Gemeinschaft schon nach kurzer Zeit ihres Bestehens zu einem Orden mit feierlichen Gelübden erhoben wurde. Kamillus wollte die Kranken aus der Hand der Lohndiener befreien, die nur für den Leib der Kranken sorgten. Gott aber hielt dies für unzureichend und allzu irdisch gedacht. Er wollte, dass die Kranken auch aus der Unzulänglichkeit der seelsorglichen Betreuer befreit werden, und das war eine weitaus größere Not in der Kirche. Kamillus wollte diese Gemeinschaft nur für Kranke mit bestimmten Krankheiten gründen, wie sie im Spital San Giacomo gepflegt und betreut wurden. Gott aber wollte, dass sich die Gemeinschaft auch der an Infektionskrankheiten Leidenden und der verwundeten Menschen in anderen Spitälern annehmen sollte. Kamillus dachte zuerst nicht daran, ansteckende Pestkranke und Strafgefangene zu betreuen, Gott aber bewirkte, dass er auch diesen zu Hilfe kam. Und schließlich dachte Kamillus nicht daran, Sterbenden in ihren Häusern beizustehen, Gott aber erleuchtete ihn, oder besser gesagt, er zwang ihn förmlich durch das ungestüme Drängen des Volkes, auch diese gewaltige Aufgabe, die so notwendig war wie das vorher Genannte, bei Tag und bei Nacht zu übernehmen ...“
In seinem Testamentsbrief erinnert Kamillus seine Mitbrüder daran: „Ich habe gesagt, dass unsere Gründung ein offensichtliches Wunder ist, weil, konkret gesprochen, sich Gott meiner bedient hat, der ich ein elender Sünder bin, ungebildet und voller Mängel und Verfehlungen, für die ich tausend Höllen verdiene; aber Gott ist der Herr und er kann machen, was ihm gefällt, und er vollbringt das auf eine unendlich gute Weise. Niemand darf sich wundern, dass Gott sich eines bestimmten Werkzeugs bedient hat. Das dient ihm, der aus dem Nichts Großartiges macht, zu seiner größeren Ehre.“
Die offizielle Errichtung der „Gesellschaft der Diener der Kranken“ geschah durch die Anerkennung durch Papst Sixtus V. am 18. März 1586. Die Erhebung zum religiösen Orden mit feierlichen Gelübden durch Papst Gregor XIV. erfolgte dann am 21 . September 1591 . Besiegelt wurde sie durch die Ablegung der feierlichen Gelübde durch Kamillus und seine ersten 25 Gefährten am 8. Dezember desselben Jahres in der Kirche Santa Maria Maddalena.
Voll Freude teilte Kamillus dies seinem Cousin Onofrio de Lellis mit: „Zurzeit habe ich viel Arbeit, weil wir durch die Gnade Christi des Herrn am nächsten Sonntag, dem Fest der Unbefleckten Empfängnis Mariens, dem 8. Dezember, den besagten Orden gründen, das heißt, wir werden die feierlichen Gelübde ablegen. Wir werden das mit großer Feierlichkeit tun, weil es das erste Mal ist ... Aber was mir größeres Staunen bereitet, ist, dass Gott durch mich, einen so großen Sünder, wirken wollte ... Auf dass alles zu seiner größeren Ehre gereiche!“
Er selbst hatte zusammen mit P. Biagio Oppertis viel gearbeitet, um die „Formula di vita“ vorzubereiten, die der wesentliche Teil des Approbationsschreibens werden sollte und wo er seine grundsätzlichen Ideen formulierte. Sie war die Basis für alle künftigen Regeln und Konstitutionen: „Wer entschlossen ist, ständig die Werke der Nächstenliebe auszuüben, soll wissen, dass er der Welt und all ihren Dingen abgestorben sein muss. Er darf nur für Jesus Christus leben. Er soll sich mit uns vereinen, um Buße für seine Sünden zu tun, unter dem sanften Joch beständiger Armut und Keuschheit sowie beständigen Gehorsams und Dienstes an den Kranken, auch wenn sie ansteckende Krankheiten haben, und dies nicht nur in den Spitälern, sondern auch in den Krankenabteilungen der Gefängnisse, wo die Kranken aller Hilfe entbehren, sowohl leiblicher wie auch geistlicher Art ...“
Von diesem Augenblick an begann sich der Orden auch in weiteren Gebieten Italiens auszubreiten. Er begegnete neuen Schwierigkeiten und überwand sie, so zum Beispiel die großen Schulden, die sich angehäuft hatten, und vor allem die Frage des „vollständigen Dienstes“ für die Kranken, der alle Dienste in den Spitälern in leiblicher wie in seelsorglicher Hinsicht umfasste. Dazu wollte der Gründer all seine Ordensleute verpflichten, als Verwirklichung seiner ursprünglichen Absicht, die aber bis zu diesem Zeitpunkt nicht wie vorgesehen umgesetzt werden konnte.
Innerhalb von wenigen Jahren breiteten sich die Gründungen in ganz Italien aus. Kamillus und die Seinen machten wegen ihrer Arbeitsweise, ihrem neuen Stil, den Kranken zu dienen, Eindruck. Viele Spitäler (insgesamt 14) konnten sich ihrer Arbeit erfreuen und viele andere wünschten sich das. In Neapel unterstützte die Ordensgemeinschaft ein Verein von Frauen, die sich der Kranken in den Spitälern annehmen wollten. Laien einzubeziehen war schon immer der Wunsch von Kamillus, der die umfassenden Bedürfnisse der Kranken kannte. Sein Engagement und das seiner Ordensleute in den Pestepidemien, die er als „Festzeiten der Nächstenliebe“ bezeichnete, galten als Garantie für den Beistand, der sogar bis zum Martyrium reichte.
Noch kurz vor seinem Tod empfahl er seinen Ordensleuten, dem Ordenszweck, dem Charisma, treu zu bleiben, und ermahnte die gegenwärtigen und die zukünftigen Mitglieder, „auf dem Weg des Heiligen Geistes zu wandeln ..., weil unser Orden so beschaffen ist, dass er tadelloser Menschen bedarf, um den Willen Gottes zu erfüllen und zur Vollkommenheit und Heiligkeit zu gelangen.“ „Allen, den Jetzigen und den Zukünftigen, die Arbeiter sein werden in diesem heiligen Orden bis zum Ende der Welt – so schrieb er in seinem Testamentsbrief – sende ich tausend Segnungen.“
Durch die Jahrhunderte hindurch hatte der Orden diese Segnungen oft auch sehr nötig, um wegen innerer Spannungen und äußerer Verfolgungen überleben zu können. Aber niemals fehlte es an Treue zum Ordenscharisma und an Kreativität, neue Wege zu eröffnen. In Peru erlebte der Orden im 17. Jahrhundert sein „goldenes Zeitalter“. Und in Norditalien verstärkte die Initiative von P. Camillo Cesare Bresciani Mitte des 18. Jahrhunderts die Zahl der Ordensleute, die stark zurückgegangen war.
Gegenwärtig macht die Nachwuchskrise in Europa und Nordamerika Sorgen. Trotz dieser Situation schenkt die Ausbreitung des Ordens in Lateinamerika, in Asien und Afrika, die Öffnung des Ordens hin zu den Laien und die Verwirklichung neuer Ausdrucksformen des Charismas im 20. Jahrhundert neue, begründete Hoffnungen für die Entwicklung des Ordens, der Gesundheitspastoral und der kamillianischen Spiritualität.
Am 2. Februar 1987 wurde vom Heiligen Stuhl das neue Grundgesetz des Ordens approbiert. Dadurch haben das Leben und die Aktivitäten des Ordens einen neuen Anstoß erhalten, indem durch kreative Treue eine Synthese zwischen Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft geschaffen wurde. „Der Orden der Krankendiener – so heißt es im ersten Artikel – hat von Gott durch seinen Stifter, den hl. Kamillus, die Gnade und den Auftrag erhalten, als lebendiges Glied der Kirche in der Welt Zeugnis zu geben, dass die Liebe Christi zu den Kranken dauernd gegenwärtig bleibt ...“
„In den Werken der Barmherzigkeit an den Kranken – so bestätigt Artikel 10 – drückt sich aus und verwirklicht sich die besondere Gnadengabe, welche die Eigenart und den Auftrag unseres Ordens bestimmt. Doch ist er – je nach Orts- und Zeitverhältnissen und entsprechend den vordringlichen Nöten der Kirche und des Nächsten – auch offen für andere Aufgaben, vorzugsweise gegenüber den Menschen in Leid und Not.“
Artikel 13 erklärt, „dass Christus im Kranken und in dem gegenwärtig ist, der ihm in seinem Namen dient. Das ist der Quellgrund unserer Spiritualität.“
Die letzten acht Generalkapitel (von 1965 bis 2007) haben neue Wege für das Charisma des Ordens des hl. Kamillus eröffnet. Sie förderten viele und verschiedenartige Initiativen zu Gunsten der Armen und Kranken, verstärkten die Berufungspastoral und brachten die Laien immer mehr in Verbindung mit der Pastoral und der Spiritualität des Ordens, indem sie die Mitarbeit ehrenamtlicher Helferinnen und Helfer förderten und die Kamillianische Familie der Laien gründeten, wie das Grundgesetz im Artikel 54 sagt: Unser Orden „setzt sich dafür ein, dass sich möglichst viele Laien für den Dienst an den Kranken zur Verfügung stellen und ihn in Liebe erfüllen“.
Der Orden der Diener der Kranken zählt zurzeit rund 1.150 Mitglieder. Diese verteilen sich auf 44 Länder der Welt: 16 Länder in Europa, zwölf Länder in Amerika, sieben Länder in Asien, acht Länder in Afrika und ein Land in Ozeanien.
In den letzten zwanzig bis dreißig Jahren hat sich die Art und Weise, das Charisma zu leben, auf unvorstellbare Weise ausgeweitet. Es lebt in kreativer Weise in den verschiedensten Kulturen, wie es auch das Evangelium verlangt. Neben den Seelsorgestellen in den Krankenhäusern, den ordenseigenen oder durch den Orden verwalteten Krankenanstalten, den Häusern für Aids-Kranke, den Poliambulatorien und den Pfarreien sind auch Zentren für die Ausbildung von Ordensleuten und Pastoralassistenten entstanden, etwa das Internationale Institut für Krankenpastoral in Rom, das „Camillianum“, und verschiedene andere Pastoralzentren.
Was hat mich bei diesem kurzen Überblick über die Geschichte des Ordens des hl. Kamillus am meisten berührt? Wie sind meine Reaktionen darauf?
„Kommt her, die ihr von meinem Vater gesegnet seid, nehmt das Reich in Besitz, das seit der Erschaffung der Welt für euch bestimmt ist ... Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan“ (Mt 25,31–45).
Weizen Christi sind wir, gewachsen
in der Sonne Gottes, mit dem Wasser
der Quelle vermischt, gezeichnet
mit der göttlichen Salbung.
Vater, forme uns um in Brot
für das Sakrament des Friedens:
ein Brot, ein Geist, ein Leib,
die eine heilige Kirche, Herr.
Gerufen, Schmerzen zu lindern,
in der Schule des hl. Kamillus.
Zum Herzen lasst uns die Hände hinzufügen,
Diener des Sohnes, der leidet.
Christus, du guter Hirte,
dir sei die Macht und die Ehre
mit dem Vater und dem Heiligen Geist
in Ewigkeit.
Amen
© Kamillianer 2013 - [Stand: 13.10.2013] Kapitel 4 Inhaltsverzeichnis zurück Kapitel 6