Ein junger Mann auf der Suche nach seinem Glück
Kamillus wurde am 25. Mai 1550 in Bucchianico in den Abruzzen in Mittelitalien geboren. Seine Mutter Camilla war bereits 60 Jahre alt; sein Vater Giovanni diente als Soldat. Eines Tages, als Kamillus 8 Jahre alt war, beschloss Giovanni, ihn mitzunehmen, damit er im Dienst von Venedig auf den Schlachtfeldern Ruhm und Glück finden sollte. Wegen seiner großen Sehnsucht nach Freiheit und Abenteuer fühlte sich der junge Mann auch dazu berufen. Er war auf der Suche nach Genuss und Reichtum.
Aber auf halbem Weg, in der Nähe von Ancona, erlag der schon alt gewordene Vater den Strapazen der Reise und ließ Kamillus, der seine heiligmäßige Mutter bereits im Alter von 3 Jahren verloren hatte, zurück. Kamillus war wie vor den Kopf gestoßen und völlig orientierungslos. Außerdem litt er an einem bösen Fieber und noch mehr an einer kleinen Wunde am rechten Fuß, so dass er hinkte. Was sollte er machen? Das Beste war, Hilfe bei seinem Onkel Pater Paolo zu suchen. Dieser empfing ihn mit Herzlichkeit.
Kamillus wollte nur ein paar Tage zur Erholung bleiben und sich dann wiederum auf die Suche nach einem erfolgreichen Leben machen. Nur ein kleines Hindernis stellte sich seinen Illusionen entgegen: Die Fußwunde machte ihm weiterhin Sorgen. Man sagte ihm, dass er im Spital San Giacomo in Rom Heilung finden könnte. Zum ersten Mal in seinem Leben begab sich Kamillus in ein Spital, wenn auch nur für ein paar Monate, und dann wollte er wieder sein Leben in Freiheit und auf den Schlachtfeldern weiterführen. Um seiner trostlosen Umgebung zu entgehen, floh er nachts und spielte am Tiber-Ufer mit den Hilfsarbeitern im Hafen von Ripetta Karten. Er wurde deshalb verwarnt und schließlich auch entlassen: „unfähig, als Krankenpfleger zu arbeiten ...“
Kamillus machte Reisen zu Wasser und zu Lande, nahm an Belagerungen und Schlachten teil und war immer wieder mit anderen Soldaten in Streitereien verwickelt. Nach und nach verlor er im Spiel alles, was er sich verdient hatte, und fand sich wieder einmal alleingelassen vor, ohne Ziel, ohne Geld. Sogar sein Hemd hatte er beim Spielen verloren. Eines Tages, als er gezwungen war, an einer Kirchtür zu betteln, wurde er eingeladen, seinen Unterhalt als Hilfsarbeiter bei den Kapuzinern zu verdienen. Aus Verzweiflung nahm er das Angebot an, um auf den Frühling zu warten und sich dann wiederum auf die Suche nach seinem „Glück“ zu begeben. Das gute Beispiel der Brüder machte ihn aber nachdenklich. Sie ließen ihn an seinen „Werten“ zweifeln. Vielleicht könnte er hier sein Glück versuchen?
Am 2. Februar 1575 entdeckte er auf der Strasse von San Giovanni Rotondo nach Manfredonia, dass allein Gott seinem Leben einen vollen und echten Sinn geben könnte. Und er fand zur Umkehr: „Kein weltliches Leben mehr, kein weltliches Leben mehr. Herr gib mir Zeit, meine Sünden zu beweinen!“ Um Buße für seine Vergangenheit zu tun, schien es ihm am besten zu sein, bei den Kapuzinern zu bleiben und wie sie zu leben. Aber hier verfiel er ein weiteres Mal in einen Irrtum.
Die Wunde am rechten Fuß kam wieder zum Vorschein – ein Zeichen, dass Gott ihn an einem anderen Ort haben wollte. An einem traurigen Nachmittag im Herbst des Jahres 1575 begab sich Kamillus zum zweiten Mal in das Spital San Giacomo der Unheilbaren, um die Wunde behandeln zu lassen. Er hatte die große Hoffnung, dass es nur wenige Monate dauern würde. In Wirklichkeit wurden es vier Jahre. Es waren Jahre der Erfahrung mit den Kranken, eines aufopferungsvollen Dienstes an den Kranken, um ihnen zu helfen und ihre Einsamkeit und ihre Hoffnungen zu teilen. Seine Kollegen bemerkten, dass etwas Wichtiges im Leben des Kamillus passiert sein musste, und die Kranken begannen seine große Nächstenliebe zu entdecken, für die er sich – unter der weisen Seelenführung des Philipp Neri – in den Sakramenten Stärkung holte.
Nach sieben Monaten war die Wunde verheilt und er glaubte, dass nun die Zeit gekommen sei, zu den Kapuzinern zurückzukehren und den Seelenfrieden zu genießen, den er dort erfahren hatte. Aber nach kurzer Zeit machte sich die Wunde wieder bemerkbar. Oder vielleicht war es vielleicht doch die Stimme Gottes, die ihn in das Spital zurückrief? Im Kloster entließ man ihn nun endgültig und er kehrte ein weiteres Mal in das Spital San Giacomo in Rom zurück, wo alle glücklich waren, ihn wiederzusehen. Er enttäuschte sie nicht und widmete sich ganz dem Dienst an den Kranken, vor allem an den Ärmsten und Verlassenen. Er entdeckte ihre zahlreichen Bedürfnisse und war immer stärker betroffen vom Geheimnis des Schmerzes, des physischen und seelischen Leids, von der Einsamkeit der kranken Menschen.
Hartnäckig wie er war, klopfte er, als es ihm besser ging, erneut an die Pforte eines Franziskanerklosters an, aber die Wunde verheilte wieder nicht und er entschloss sich, in das Spital zurückzukehren. Die Spitalsleitung sah, dass Kamillus in den Jahren hingebungsvoller Pflege wichtige Erfahrungen gesammelt hatte, und bot ihm ein höchst verantwortungsvolles Amt an: das des Spitalsverwalter. Seine Aufgabe war, das Personal zu überwachen, damit sie nicht die Kranken vernachlässigten, auf die Bedürfnisse der Kranken eingingen und allen mit Liebe und Aufmerksamkeit dienten. Vor allem durch sein Beispiel sollte er sie anspornen. Und er erhielt ein Stipendium, das er für seinen Lebensunterhalt brauchte. Endlich verstand Kamillus, dass Gott ihn hier haben wollte und dass sein Leben hier wirklich einen Sinn hatte.
Ein „Diener der Kranken“ auf der Suche nach dem Glück der anderen
Kamillus war nun 29 Jahre alt, und was er suchte, war ausschließlich das Glück der „armen Kranken“. Als ihn nach und nach die Gnade Gottes geläutert hatte und ihn der Glaube erleuchtete, kam er dazu, in ihnen die „Söhne und Töchter Gottes“ zu sehen. Er diente den Kranken so, als wären sie „seine Herren und Gebieter“. „Wir müssen dessen eingedenk sein – so wird er nicht müde zu betonen –, dass wir das, was wir für diese Ärmsten tun, für Gott selbst tun ... In diesem Dienst brauchen wir eine große Demut, viel Geduld und eine große Nächstenliebe.“ Er selbst stand an vorderster Front, lehrte und arbeitete. Es entstand sozusagen eine „neue Schule der Nächstenliebe“.
Aber dies schien ihm nicht zu genügen. Es musste weitere Menschen finden, die ihm folgten und sich in dieser Schule auch intensiv fortbildeten. Zunächst gründete er die „Kongregation zum Allerheiligsten Kreuz“, in der er rechtschaffene Männer versammelte, die in diesem Dienst mitarbeiten wollten. Bis zu jenem Abend des 4. August 1582, dem Vorabend des Festes der Aufnahme Mariens in den Himmel, als er, wo er so viel an Pflichtvergessenheit sah, plötzlich die Eingebung hatte: „Warum nicht die Lohndiener ersetzen und an ihrer Stelle eine Gemeinschaft von frommen und rechtschaffenen Menschen gründen, die es zum Ziel hat, nicht aus Gewinnsucht, sondern aus Liebe zu Gott den Kranken gerne und in ähnlich liebender Hingabe zu dienen, wie eine Mutter ihr eigenes krankes Kind pflegt? Sie könnten als Erkennungszeichen ein Kreuz auf dem Gewand tragen.“ Sein Beichtvater Philipp Neri verstand diesen Anruf Gottes nicht und wandte sich von ihm ab. Später wird Kamillus sagen, dass es damals den Mut eines Löwen gebraucht hatte.
Was ihn nicht allein ließ, war sein geliebtes Kreuz, das ihm zweimal Mut machte: „Voran, du Kleinmütiger, hab keine Angst: Dieses Werk ist nicht das deine, sondern es ist das meine.“ Und da es „sein“ Werk war, war es nötig, es um jeden Preis auch weiterzuführen.
Kamillus erfuhr viele Schwierigkeiten, Verdächtigungen, Ausgrenzungen, aber er hatte auch viele Erfolge. Der Papst selbst und auch einige Kardinäle unterstützten seine Reformen im Krankendienst und seine Hilfsaktionen während der verschiedenen Seuchen, die in Rom ausbrachen. Sie nahmen seine Ratschläge und Anregungen an. Viele junge Menschen wurden durch sein Beispiel angezogen und traten der Gemeinschaft bei. Die Gruppe wuchs und wuchs und man musste immer größere Häuser suchen. Für die Mitglieder schrieb Kamillus „Regeln und praktische Weisen, um den Kranken in den Spitälern gut zu dienen“.
Um den Kranken auf umfassendere Art beistehen zu können, was den Leib wie auch die Seele anging, und um die Gruppe besser leiten zu können, riet man ihm, Priester zu werden. Am 26. Mai 1584 empfing er die Priesterweihe. Man riet ihm auch, ein Gesuch an den Papst um offizielle Anerkennung der „Gesellschaft der Diener der Kranken“ zu richten. Dieser Bitte wurde am 8. März 1586 entsprochen. In der Folgezeit bat Kamillus den Papst, als Erkennungszeichen das rote Kreuz auf dem Talar tragen zu dürfen. Er konnte das dann zum ersten Mal am 29. Juni 1586 tun.
Vom neuen Mutterhaus Santa Maria Maddalena machten sich die Diener der Kranken täglich auf den Weg, um den Kranken im Spital Santo Spirito entsprechend der Anleitung durch Kamillus zu dienen und die Kranken und Sterbenden, auch wenn sie ansteckende Krankheiten hatten, zuhause zu besuchen. Kamillus begeisterte sie mit seiner vollkommenen Hingabe für die ihrer Sorge Anvertrauten. Manche Ordensleute wurden dabei auch selber krank und manche von ihnen starben.
Außer Rom interessierten sich nun auch andere Städte für den Dienst des Kamillus und baten um Ordensleute. Neapel war die erste Stadt, die davon profitierte. Aber es war notwendig, noch mehr Mitglieder zu gewinnen, insbesondere Priester. Daher entstand die Idee, den Papst um die Erhebung der Gesellschaft zu einem Orden mit feierlichen Gelübden zu bitten. Das war nicht leicht zu erreichen, aber angesichts der aufopferungsvollen Hingabe des Kamillus und der Seinen in den Epidemien von 1590 und 1591 erhielt er vom Papst die Erlaubnis dazu.
Die Begeisterung für diese neue Form der Nächstenliebe wuchs: Mailand, Genua, Florenz und andere Städte konnten sich der Präsenz und des Dienstes der Diener der Kranken erfreuen. „Ich möchte tausend Hände haben, um alle zu erreichen“, sagte Kamillus immer wieder. Am 1. November 1592 begann er auch mit einer Gemeinschaft von Laien zu arbeiten und wünschte sich, dass sie „nützlich sei für unseren Orden und die Kranken“.
Der Glaube des Kamillus bestärkte von Tag zu Tag immer mehr seine Nächstenliebe und lenkte sie, er veränderte sein Denken und ermutigte ihn immer wieder und führte ihn zu einem heiligmäßigen Leben. Kamillus fühlte sich herausgefordert, von der unablässigen Barmherzigkeit der Liebe Gottes, wie sie uns in Christus geoffenbart wurde, Zeugnis zu geben und so sein Evangelium authentisch zu leben.
Die Fußwunde, das Zeichen seiner echten Berufung, wurde immer schlimmer. Andere Krankheiten kamen hinzu. Er bezeichnete sie als die „Barmherzigkeiten des Herrn“. Kamillus fühlte sein Ende herankommen. „Kamillus wird einmal wie ein Schwan sterben, der immer von der Nächstenliebe singt.“ Diesen Satz wiederholte er in den letzten Jahren seines Lebens immer wieder.
Und so geschah es. Am 4. Juli 1614 kehrte der „Kranke für die Kranken“ in das Haus des Vaters zurück. Doch sein Herz blieb bei den Kranken und bei seinen Nachfolgern, um sie zu inspirieren und ihnen mit seiner Liebe nahe zu sein.
„Danach suchte der Herr zweiundsiebzig andere aus und sandte sie zu zweit voraus in alle Städte und Ortschaften, in die er selbst gehen wollte ... Er sagte zu ihnen: Geht! ... Wenn ihr in eine Stadt kommt und man euch aufnimmt, so esst, was man euch vorsetzt. Heilt die Kranken, die dort sind, und sagt den Leuten: Das Reich Gottes ist euch nahe“ (Lk 0, –9).
Was sagt dir Jesus mit diesen Worten? Wie kannst du Kranke „heilen“ und ihnen die Hoffnung auf das Reich Gottes verkünden?
Lobe den Herrn, meine Seele
und alles in mir seinen heiligen Namen!
Lobe den Herrn, meine Seele,
und vergiss nicht, was er dir Gutes getan hat:
Der dir all deine Schuld vergibt
und all deine Gebrechen heilt,
der dein Leben vor dem Untergang rettet
und dich mit Huld und Erbarmen krönt.
Der Herr ist barmherzig und gnädig,
langmütig und reich an Güte.
Er wird nicht immer zürnen,
nicht ewig im Groll verharren.
Wie ein Vater sich seiner Kinder erbarmt,
so erbarmt sich der Herr
über alle, die ihn fürchten.
Denn er weiß, was wir für Gebilde sind;
er denkt daran: Wir sind nur Staub.
Doch die Huld des Herrn währt immer und ewig
für alle, die ihn fürchten und ehren;
sein Heil erfahren noch Kinder und Enkel;
alle, die seinen Bund bewahren,
an seine Gebote denken und danach handeln.
Aus Psalm 103
© Kamillianer 2013 - [Stand: 13.10.2013] Kapitel 3 Inhaltsverzeichnis zurück Kapitel 5