„Das reichste Armenhaus Europas ...“Ein Bericht zur Eröffnung des Wiener Versorgungsheims aus der Wiener „Reichspost“ vom 16. Juni 1904„Wie ich an allem, was meine Haupt- und Residenzstadt Wien betrifft, lebhaften Anteil nehme, so begrüße ich auch das Zustandekommen dieser neuen Versorgungsanstalt ... Möge dieser der Wohltätigkeit gewidmete Bau mit Gottes Segen der gedeihlichen Vollendung entgegengeführt werden ...“ |
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Der Segenswunsch, mit welchem Kaiser Franz Josef am 26. Juni 1902 die drei Hammerschläge auf den Grundstein des heute einzuweihenden Hauses begleitete, hat sich herrlich erfüllt. Als das reichste Armenhaus Europas bietet das Wiener Versorgungsheim seinen greisen und siechen Bürgern mehr als großartige Gastfreundschaft: es gewährt ihnen eine Heimstatt, nicht schlechter als die der wohlhabenden Bürger unserer Stadt, es umgibt sie mit einem Komfort, die nichts von der Vorstellung einen „Armenhauses“ übrig lässt. Das Versorgungsheim ist ein europäisches Musterinstitut und würdig einer Großgemeinde, die in fünfzig Jahren dank der Industrialpolitik ihrer gegenwärtigen Verwaltung die reichste des Kontinents sein wird, sowie sie heute die schönste, lieblichste, unverbildetste ist.
Der Kaiser, der vor zwei Jahren den Grundstein in den grünen Schoß des Lainzer Wiesenlandes versenken sah und die Bauherren und Bauführer ermunterte, dem Plane ihren ganzen Eifer zuzuwenden, sah heute den letzten Stein in ein Werk einfügen, das sein väterliches Herz innig erfreuen und mit Stolz auf die Entwicklung seiner Reichshauptstadt erfüllen muß. So selten der Monarch im Vergleiche mit anderen Souveränen Europas, geschickten Popularitätsregisseuren, in der Öffentlichkeit erscheint, umso erhebender wirkt seine Gegenwart, die er keinem dem Wohl des ganzen und des einzelnen dienenden Anlass versagt. So soll es für das Gedeihen des Hauses und die stille Zufriedenheit derer, die nun bald dort einziehen werden, von glücklicher Vorbedeutung sein, dass Franz Josef der Erste in der schönen Kirche der Armeleutekolonie am heutigen Tag im Gebet verweilte, das, wir glauben es fest, ebenso innig dem Vaterland und dem Volke galt, als wir in dem unseren des Vaterlandes und des Kaisers gedenken.
Die Bedeutung des Versorgungshauses als sozialpolitische und humanitäre Anstalt wird nicht beeinträchtigt durch einzelne Missgriffe, die aber durchaus auf künstlerischem, nicht auf technischem oder sanitärem Gebiete liegen. Nicht so glücklich, als man hätte wünschen mögen, ist vor allem die Anordnung und nächstens die Dimension der Gebäude. Von ferne glaubt man ein um die schlanktürmige Kirche entstehendes Stadtviertel zu sehen, ohne sofort durch anderes als durch die koloristische Gleichförmigkeit auf die Zusammengehörigkeit des Komplexes gebracht zu werden. Die tadellose Regelmäßigkeit der Gruppierung ernüchtert ein wenig und wird erst dann angenehm wirken können, wenn die noch allzu jungen Bäume des Gartens wipfelreich genug sein werden, um die Unterbauungen zu verdecken. Dies und die etwas grelle Farbigkeit des Ziegels und der weißen Sandsteinornamentik, die allmählich sich dämpfen werden, sind also auch nur zeitliche Mängel, welche spätere Beschauer nicht mehr kränken sollen. Die Dimensionen der Einzelgebäude sind freilich zu großstädtisch, um die für alte Leute so erquickende behagliche Kleinhäuslichkeit aufkommen zu lassen. So gerne wir kleine cottageartige, hochgiebelige Häuschen von Stockhöhe, in kleinen Hausgärtchen geborgen, gesehen hätten, so müssen wir doch die finanziellen Einwände billigen, die gegen eine solche, noch größeres Territorium beanspruchende Einteilung erheben. So ist es nicht anders möglich, als die praktische Tadellosigkeit der Anstalt mit freudigem Lokalpatriotismus zu rühmen.
Der moralische und darum auch der künstlerische Mittelpunkt der Kolonie ist die Kirche, um deren unvergleichliche Lage mancher fürsorgliche Stadtpfarrer den Herrn Versorgungshauskuraten beneiden mag. Der Einklang ihrer Größenverhältnisse mit der moscheenhaft leichten Stilistik ist erstaunlich gelungen. Die beiden Türme sind fast von der Schlankheit der Minaretts, ohne darum schornsteinhaft zu werden. Die Plastik ist gut verteilt, und das bemerkenswerteste ist der gute und gescheite Rückgriff auf heraldischen Zierrat, der nicht eindringlich genug weiter empfohlen werden kann. In Wien ist dank des christlichen Regimes eine Art Patriziat wieder im Aufblühen und es ist ganz charakteristisch für diese Tatsache, daß an und in der Bürgerheimkirche die Wappenzeichen der historischen Stadtteile und der Gewerbe wieder zu Ehren gekommen sind. Die Kirche ist eine lichte, freundliche Halle, in der sich Gott mit leichtem dankbarem Herzen dienen lässt. Sie erweckt mehr kunstgewerbliches als künstlerisches Interesse, entspricht aber darum dem Sinn und Zweck des Ganzen weit besser als ein ausgetüftelter Raum, der mehr von Überkultur als von frommem Kult zu sagen weiß. Neben den unser Gewerbe hoch ehrenden Bronzearbeiten, Gittern und Kandelabern ist der bedeutendste Inhalt des Gotteshauses Theodor Maria Khuens Kreuzweg, ein Zyklus von edelster Einfachheit, seinem Vermögen und schmerzvoller Glorie. Weniger wertvoll ist das Altarbild Hans Zatzkas, ein vom Bürgermeister Dr. Lueger gewidmetes Triptychon, das den Stifter und seine Eltern in Anbetung der heiligen Jungfrau unter Fürsprache des heiligen Karl Borromeo zeigt. |
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Die technische Durchdachtheit der Anlage ist von einem Raffinement, das die alten Herrschaften, die da am 1. Juli einziehen sollen, mitunter recht verblüffen wird. Welcher ordentliche Pfründner hat auch sein Lebtag von Küchen mit Flamm- und Siederohrniederdruckdampfkesseln sich träumen lassen, oder davon, daß ihm in einem besonderen Maschinmehlspeisherd eine Omelette gekocht und auf einer kleinen Schienenbahn in den Speisesaal seines Pavillons serviert werden würde? Und welche ehrenwerte Pfründnerin, die bei der Kaffeemühle grau geworden, wird den zwei Kaffeedampfkochkesseln glauben wollen, die „auf einen Sitz“ dreihundert Liter „Gschlader“ zu brauen imstande sind? Es wird eine rechte Wunderwelt sein, in die unsere alten Leutchen sich versetzt sehen werden, und in den hübschen Wohnzimmern wird des Schwatzens darüber kein Ende sein wollen.
Die Wohnstätten reichen nach der endlichen Ausgestaltung für 5.000 Personen und sind in fünf Frauen- und fünf Männerheime gesondert. Jedes dreigeschossige Haus hat seinen großen Speisesaal, dessen Fenstertüren auf eine luftige Veranda mit der wunderschönen Schau über Wien führen. Heizbare Wandelbahnen ermöglichen kleine Promenaden bei schlechtem Wetter, für Bäder ist opulent gesorgt, und die Schlafzimmer sind ebenso nett wie die Gänge und Vorräume, in denen Türen und Fenster mit heiteren Blumenmalereien verziert sind. Die erfreulichste Neuerung sind wohl die allerdings erst für hundertzehn Paare eingerichteten Eheleuteheime, die das Zusammenleben der alten Leute ermöglichen und vielen den Aufenthalt in der bisher wenig erwünschten Pfründe erleichtern sollen.
Was sonst noch an Zubehör wirtschaftlicher und sanitärer Bestimmung zu sehen ist, rechtfertigt durchaus den Respekt vor der hohen Auffassung, welche die Gemeinde Wien von ihren Pflichten hat. Und was das Schönste und Unvergleichlichste ist: sie übt ihre Pflicht nicht nur dem Gesetze nach, sondern auch ganz nach dem Herzen - und dafür segne Gott Stadt, Bürgermeister und Rat!
In überaus feierlicher Weise fand heute vormittags im Beisein des Kaisers die Eröffnung des Wiener Versorgungshauses in Lainz und die Darbringung des ersten heiligen Messopfers in der neuen Kirche dieser Anstalt statt.
Die Zufahrtstraße (Biraghygasse) war von der Abzweigung der Lainzerstraße an festlich dekoriert. Hohe Mastbäume, von welchen Fahnen in den Farben des Reiches und der Stadt Wien flatterten, säumen den Weg ein, Schüler des 13. Bezirkes und zahlreiche Vereine sowie eine ungeheuere Menschenmenge bildeten zu beiden Seiten bis zu dem Hauptportale der weit ausgedehnten Anstalt Spalier. Gleich innerhalb des Haupteinganges zu beiden Seiten der großen Kaiserbüste waren zwei Festzelte errichtet. Hier auf dem abgesteckten Platze und auf dem Plateau vor der Kirche hatten sich die Festgäste versammelt, darunter Erzherzog Rainer, die Fürsten Liechtenstein und Montenuovo, Ministerpräsident Dr. v. Koerber, Kriegsminister v. Bitreich, Eisenbahnminister Dr. v. Wittek, Unterrichtsminister Dr. v. Hartel, Statthalter Graf Kielmannsegg, Polizeipräsident Ritter v. Habrda, Bürgermeister Dr. Lueger mit den Vizebürgermeistern Strodach und Dr. Neumayer, Stadtkommandant Ritter v. Engel, Hofburgpfarrer Bischof Dr. Mayer, Schottenprälat Rost, Landmarschall Prälat Schmolk, die Landes-Ausschüsse Regierungsrat Dr. Gessmann und Steiner, Oberinspektionsrat Gerenyi, zahlreiche Abgeordnete, Stadt- und Gemeinderäte und Bezirksvorsteher, Magistratsdirektor Weißkirchner mit den Obermagistratsräten Appel, Posselt und Dr. Sedlazek, viele Hofwürdenträger, Ministerialbeamte und die Generalität.
Um 10 Uhr erschien der Kaiser. In dem Augenblicke, als der Hofwagen in die Biraghygasse einbog und von der Anstalt aus sichtbar wurde, ertönten zum ersten mal sämtliche Glocken der Kirche. Laute Hochrufe erschallten, als der Kaiser im offenen Hofwagen auf dem Festplatze vorfuhr, wo er durch den Bürgermeister und die beiden Vizebürgermeister ehrfurchtsvollst begrüßt wurde.
Nachdem der Kaiser in das rechts gelegene Festzelt eingetreten war, richtete Bürgermeister Dr. Lueger nachstehende Ansprache an den Monarchen:
Eure kaiserliche und königliche Apostolische Majestät! Allergnädigster Kaiser und Herr! Eure kaiserliche und königliche apostolische Majestät geruhten über die alleruntertänigste Bitte der Vertretung der Reichshaupt- und Residenzstadt Wien die heutige Feier der Vollendung des neuen Versorgungsheimes im 13. Bezirke durch die allerhöchste Anwesenheit allergnädigst auszuzeichnen. Die Vertretung der Stadt, welche mit Stolz auf dieses große Werk blickt, erlaubt sich die ehrfurchtsvolle Bitte zu stellen, Euere Majestät geruhen, für diesen neuerlichen Beweis allerhöchster Gnade den innigsten Dank der Gemeindevertretung und der Bevölkerung entgegenzunehmen. In der kurzen Zeit von nur zwei Jahren ist hier in gesunder Lage, ich möchte sagen, fast ein Stadtteil entstanden, erbaut und eingerichtet nach den Erfahrungen der modernen Technik. Für die Pfleglinge dieser Häuser wurde eine Fürsorge entwickelt, wie dies bisher nirgends der Fall war. Die Stadt Wien schreitet auch in der Frage der Armenversorgung an der Spitze aller Städte einher und hat trotz der sich bis ins Ungeheuerliche steigenden Anforderungen für die Entwicklung der Stadt die Möglichkeit gefunden, ihren Armen ein in allen Beziehungen durch und durch gestaltete Heimat zu geben ...
Hierbei haben wir nicht vergessen, auch dem Herrn eine Stätte zu bereiten, damit es den Bewohnern dieses Heimes ermöglicht wird, ihren Christenpflichten zu entsprechen. So wollen wir hoffen, daß dieser Bau voll und ganz den gehegten Erwartungen entspricht und daß der Schutz des Allerhöchsten, den wir für diese Behausungen herabflehen, dieselben stets umgibt, solange noch ein Stein auf dem anderen liegt. Den Gefühlen des Dankes und der Freude, welche die Wiener Bevölkerung in der Anwesenheit Eurer kaiserlichen und königlichen Apostolischen Majestät bei diesem festlichen Anlasse empfindet, kann ich nur dadurch schwachen Ausdruck verleihen, daß ich in den Ruf ausbreche: Seine kaiserliche und königliche Apostolische Majestät, unser allergnädigster Kaiser und Herr, lebe hoch, hoch, hoch!“
Als die brausenden Hochrufe verklungen waren, erwiderte Se. Majestät in folgender Weise: „Schon wiederholt habe Ich Anlass gehabt, Mein Interesse und Mein Wohlgefallen an den mannigfachen Maßnahmen zu bekunden, welche die Vertretung Meiner Haupt- und Residenzstadt Wien zur Hebung der allgemeinen Wohlfahrt und zur Verbesserung der Existenz ihrer Angehörigen getroffen hat. So bin Ich denn auch bereitwillig Ihrer Einladung nachgekommen, der Schlusssteinlegung zu dem Baue dieses Versorgungshauses anzuwohnen und nehme Ihrer und der Bevölkerung Dank gerne entgegen. Ich konstatiere mit Freuden, daß dieses neue Versorgungsheim in prächtiger, gesunder Lage in großartigen Dimensionen ausgeführt ist und Ich hoffe, dasselbe werde mit Gottes Hilfe ganz und voll entsprechen.“
Danach begab sich der Kaiser über die Freitreppe zum Portal der neuen Kirche, an welchem Weihbischof Dr. Schneider dem Monarchen das Aspergil reichte und ihn in das Presbyterium geleitete, wo der Kaiser und der Hof im Oratorium an der Epistelseite Platz nahmen. Während der ersten heiligen Messe, welche nunmehr Weihbischof Doktor Schneider unter großer Assistenz in der neu konsekrierten Kirche zelebrierte, trug der Wiener Männergesangverein unter der Leitung Kremsers Schuberts „Deutsche Messe“ vor.
Nach dem Te Deum richtete der Bürgermeister an den Kaiser die Bitte, einzelne Teile des neu erbauten Versorgungsheims zu besichtigen. Unter der Führung des Bürgermeisters, der beiden Vizebürgermeister und der Organe des Magistrates und des Stadtbauamtes verließ der Kaiser das Oratorium auf der Epistelseite und besichtigte nun der Reihe nach das hinter der Kirche liegende Zentralküchengebäude, dann die große Wäscherei, das links gelegene Krankenheim im ersten Stockwerke, ein Ehepaarheim und darauf einen für die Frauen bestimmten Belagraum im ersten Stocke.
Hier waren in dem festlich geschmückten Tag- und Speiseraum nachstehende Personen, welche sich um den Bau Verdienste erworben hatten, aufgestellt und wurden mit Erlaubnis des Kaisers vom Bürgermeister dem Monarchen vorgestellt, darunter: Magistratsdirektor Dr. Richard Weiskirchner, Vize-Baudirektor Rudolf Helmreich, Magistratsreferent Sekretär Dr. Jakob Dont, Stadtgarteninspektor Hybler. Bildhauer und Modelleur Theodor Franz Khuen, Johann Alfred Breuer, Gemeinderat und Vorsteher der Tapezierergenossenschaft, Alois Löw, Inhaber der Firma Karl Geylings Erben, Glasmalerei und Glasätzerei.
Nach erfolgter Vorstellung begab sich der Kaiser noch in das Nonnenheim, das er in den Parterreräumlichkeiten besichtigte, worauf er sich zum Wagen begab und nach huldvollster Verabschiedung, wobei er zu wiederholtenmalen seiner vollsten Befriedigung Ausdruck gab, unter brausenden Hochrufen der versammelten Menge nach 1¼ stündigen Aufenthalte die Anstalt verließ.
© Kamillianer 2009 - [Stand: 03.11.2009] zurück