Allgemein denkt man, dass kranke und alte Menschen nur von anderen empfangen und der christlichen Gemeinde oder der Gesellschaft nichts Sinnvolles mehr geben können. Diese Meinung drängt alle „unproduktiven“ Menschen an den Rand der Gesellschaft und isoliert sie – eine bittere Konsequenz unserer Leistungsgesellschaft, wo es nur um Profit und Konsum geht.
In Wirklichkeit können kranke und alte Menschen für die Gemeinschaft durchaus einen fruchtbaren und wertvollen Beitrag leisten. Weil sie krank sind und nicht arbeiten können, sieht man sie als arm und hilfsbedürftig an. Aber gerade in diesem Zustand der Armut und der scheinbaren Nutzlosigkeit können sie auf hervorragende menschliche und christliche Werte, die einen Reichtum für jede soziale und religiöse Gemeinschaft bedeuten, hinweisen, sie mit Leben erfüllen und weitergeben. Der hl. Paulus sagt von Jesus: „Er, der reich war, wurde euretwegen arm, um euch durch seine Armut reich zu machen“ (2 Kor 8,9). Dasselbe kann man auch von kranken und alten Menschen sagen.
Auf menschlicher Ebene
Wir erzählen von einer Begegnung mit einem kranken oder alten Menschen:
„Als er nach Kafarnaum kam, trat ein Hauptmann an ihn heran und bat ihn: Herr, mein Diener liegt gelähmt zu Hause und hat große Schmerzen. Jesus sagte zu ihm: Ich will kommen und ihn gesund machen. Da antwortete der Hauptmann: Herr, ich bin es nicht wert, dass du mein Haus betrittst; sprich nur ein Wort, dann wird mein Diener gesund. Auch ich muss Befehlen gehorchen und habe selber Soldaten unter mir; sage ich nun zu einem: Geh!, so geht er, und zu einem andern: Komm!, so kommt er, und zu meinem Diener: Tu das!, so tut er es. Jesus war erstaunt, als er das hörte, und sagte zu denen, die ihm nachfolgten: Amen, das sage ich euch: Einen solchen Glauben habe ich in Israel noch bei niemand gefunden. Ich sage euch: Viele werden von Osten und Westen kommen und mit Abraham, Isaak und Jakob im Himmelreich zu Tisch sitzen; die aber, für die das Reich bestimmt war, werden hinausgeworfen in die äußerste Finsternis; dort werden sie heulen und mit den Zähnen knirschen. Und zum Hauptmann sagte Jesus: Geh! Es soll geschehen, wie du geglaubt hast. Und in derselben Stunde wurde der Diener gesund“ (Mt 8,5–13).
Für Kamillus ist der Kranke nicht nur ein Mensch wie wir, dem wir mit der Liebe einer Mutter begegnen sollen, sondern vielmehr etwas Höheres: Die Kranken sind unsere Herren und Gebieter und wir müssen ihnen dienen wie Diener und Knechte.
Bereits am Anfang überlegte er mit seinen Gefährten, welchen Namen man der neuen Gemeinschaft geben sollte. „Sie waren gedrängt von ihrer großen Nächstenliebe zu den Kranken, die sie als ihre Herren und Gebieter betrachteten. Deshalb hatten sie sich fast schon entschlossen, sich die Knechte der Kranken zu nennen.“
„Das sind unsere Herren“, sagte Kamillus zu seinen Mitbrüdern und zeigte auf die Kranken: „Lieben wir sie deshalb innig“ (Bruder Roncalli).
„Du bist mein Herr“, antwortete Kamillus einem Kranken, der ihn um einen Gefallen gebeten hatte, „ich habe keinen größeren Trost als den, dir zu dienen.“
„Pater, gehen Sie schlafen, Sie sind todmüde“, sagte ein Kranker zu Kamillus. – „Bruder“, entgegnete er, „ich bin dein Knecht und deshalb muss ich hier sein und dir dienen.“
Wenn er schreibt oder spricht, erwähnt Kamillus immer wieder die Armen und Kranken. Er nennt sie meist „Unsere Herren und Gebieter“ oder auch „Söhne Gottes“, „Glieder Jesu Christi“. Dass er Gott in den Armen sieht, ist immer deutlicher, immer klarer und leidenschaftlicher auf seinem Antlitz und in seinem Herzen zu sehen. „Meine Patres und Brüder“, sagte er oft seinen Ordensleuten, „schauen wir auf die Armen und Kranken, denen wir dienen. Sie werden uns eines Tages das Angesicht des Herrn zeigen.“
Herr Jesus, du hast in deinem Leben immer Liebe und Verständnis für die Kranken gezeigt. Schau auch auf uns, die wir trotz Krankheit und Leid bekennen, dass wir an deine Liebe glauben.
Wir opfern dir unsere Schmerzen und Krankheiten auf, damit du denen das Licht des Glaubens wieder schenkst, die es verloren haben. Gib ihnen die Gnade zurück, die sie verloren haben.
Herr Jesus, wir bitten dich, vereine mit den Schmerzen auf deinem Leidensweg auch unsere Schmerzen und Krankheiten, damit alle Menschen die Güte des Vaters erfahren und in deinem Frieden leben.
Papst Paul VI.
© Kamillianer 2013 - [Stand: 16.10.2013] Kapitel 13 Inhaltsverzeichnis zurück Teil 2