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Das Kamillus-Lesebuch
Zeugnis eines bewegten und wegweisenden Lebens
Fortsetzung - Teil 5
Kamillus de Lellis - ein barmherziger Samariter
Die Geschichte im Evangelium ist bekannt: Ein Reisender fällt unter die Räuber, wird ausgeraubt, halbtotgeschlagen und bleibt am Wegesrand liegen. Vorbeigehende Amtspersonen beachten ihn, aus - wie ihnen scheint - guten Gründen nicht. Der vorbeiziehende Samariter nimmt sich seiner an, versorgt ihn, lässt ihm jede erdenkliche Hilfe zukommen (Lk 10, 30-35). Eine Beispielgeschichte, die Jesus erzählt und durch die er letztlich dazu anregen will, sich diese Lebenshaltung anzueignen. Die Aufforderung Jesu ist klar: „Geh hin und tu desgleichen“, handle genauso wie der barmherzige Samariter.
Wenn man in Rom von der Mutterhauskirche der Kamillianer geradeaus in Richtung Petersplatz durch die engen Gassen geht, die Piazza Navona links liegen lassend, vorbei an den Antiquitätenhändlern in der Via dei Coronari, der Straße der Händler, dann fällt der Blick bald schon auf die Tiberbrücke und auf das auf dem anderen Flussufer gelegene Ospedale Santo Spirito in Sassia.
Kamillus von Lellis ist diesen Weg tagaus-tagein viele Male gegangen. … Man kann sich vorstellen, dass sein wacher Blick da immer wieder den einen oder anderen am Straßenrand kauernden Bettler wahrnimmt. Mit Kennerblick fällt Kamillus auf, dass der nicht nur arm, sondern auch krank ist. In so einem Moment hält er ein, wendet sich dem Bettler zu und versucht mit gütigen Worten ihn dazu zu bewegen, mit ihm ins Spital zu gehen, damit der dort Hilfe bekommt.
Was Kamillus da tut, erinnert an den Samariter im Evangelium. Keine langen Fragen, keine Vorwürfe, kein „Aufnahmegespräch“, - nur einfach die ausgeübte Nächstenliebe, nach der der Lehrer Jesus gefragt hat.
Der rechte Blick. Das Besondere an Kamillus ist der rechte Blick. Darauf kommt es an, auf den Blick für den Armen, den Bedürftigen, den geschundenen Mitmenschen in seiner erbärmlichen Situation. Ein Geschenk Gottes, so ein scharfes und waches Auge. Kamillus hat es!
Kamillus erfasst sofort, so wie der reisende Samariter, die Not des Mitmenschen. Er sieht, dass es nicht nur um den Hunger geht, sondern auch um die menschenunwürdige Situation, dass einer auf der Straße lebt, betteln muss. Vielleicht erinnert sich Kamillus an das zurückliegende Erlebnis, dass er selbst einmal an einer Kirchentüre gebettelt hat. Diese Erfahrung hat seinen Blick geschärft. Kamillus erfasst die Situation sozusagen mit dem „Blick des Herzens“. Man darf zudem annehmen, dass in jungen Jahren, der Söldnerdienst und auch seine Vorliebe für das Karten- und Glücksspiel ihn in genauem Hinsehen und schnellem Erfassen der Situation geübt haben.
Eine gute Auffassungsgabe ist das eine. Bei Kamillus führt das Sehen weiter. Er lässt sich, wie der Samariter, im Herzen von der Not des Mitmenschen berühren. Man kann sagen: Er leidet mit ihm, wird angerührt von der tragischen Situation dessen, der da am Weg liegt. Sein Mitleid ist dabei nicht eine vorübergehende gefühlvolle Stimmung. Kamillus lässt sich - wie der Samariter - innerlich treffen von der Not des Nächsten. Fast schon vorwurfsvoll tadelt er einmal einen Mitbruder: „Du siehst bei diesen Armen nur die Lumpen, die sie am Leib haben, und denkst nicht daran, dass Christus in diesen Menschen verborgen ist.“
Mitleid. Für Kamillus ist klar: Mitleid ist mehr als Sympathie und Bedauern. Mitleid lässt den Menschen (nach Augustinus) „fremdes Elend in unserem Herzen empfinden und treibt uns an, zu helfen, soweit wir können“. Dieser inneren Einstellung eifert Kamillus nach. Sein Herz beginnt im Takt des Bedürftigen zu schlagen, er spürt und nimmt wahr, was den anderen belastet, ihn schmerzt und leiden lässt. Das ist dann nicht nur die konkrete materielle Not, der Schmerz der Wunde, der Hunger, die leibliche Blöße. Kamillus empfindet mit dem Kranken auch die Erniedrigung, die Scham, das Gefühl der eigenen Wertlosigkeit und vielleicht auch die Furcht, vor Gott in Ungnade gefallen zu sein. Es ist ganz offensichtlich. Das Herz von Kamillus schlägt für die Leidenden, die Armen und Kranken, er leidet mit ihnen.
Einhalt. Das „innere Mitleiden“ mit dem Bedürftigen lässt Kamillus einhalten. Er unterbricht - wie der Samariter - seinen eigenen Weg, stellt eigene Ziele und Gedanken zurück und wendet sich dem Armen, dem Kranken, dem wie auch immer „Niedergeschlagenen“ zu. Wie der Samariter im Evangelium fühlt er sich eingefordert, die elende Situation des Menschen am Wegesrand, des Ausgegrenzten, des Hilflosen tatkräftig zu ändern. Kamillus ist viel unterwegs, zunächst auf den täglichen Wegen zu den Kranken, dann auch zu den Gefährten und Mitbrüdern seiner Gemeinschaft. Kennzeichnend für ihn ist, dass er seinen Weg sofort und unmittelbar unterbricht, wenn er auf die Not eines Mitmenschen stößt. Eigene Pläne und Vorhaben treten in den Hintergrund, werden zweitrangig angesichts des Nächsten, der Hilfe braucht.
Tatkraft. Das ist eine herausragende Eigenschaft des Kamillus von Lellis. Man kann daran denken, dass er um Weihnachten 1598, als ein Tiberhochwasser die Krankensäle des Ospedale Santo Spirito erreicht und die hilflosen Kranken bedroht, keinen Augenblick zögert, sie auf seinen starken Armen in höher gelegene Räumlichkeiten des Hospitals zu tragen und so aus der Gefahr zu retten. Vielleicht ist diese Tatkraft ein Ergebnis seiner Zeit bei den Soldaten. Nicht die eigene Sicherheit und Unversehrtheit steht im Vordergrund, sondern das beherzte Zupacken. Not erkennen und Hilfe leisten, das wird sein Lebensmotto.
Berührung zulassen. Der Samariter säubert die Wunden des Notleidenden am Weg, hebt ihn auf sein Reittier und bringt ihn zur Herberge. Kamillus nimmt die Flutopfer auf seine starken Arme und rettet sie. Immer wieder setzt er seine Kraft für die Kranken ein und lässt Berührung zu. Liebevoll wird er so manche Hand eines Kranken in seine Hand genommen, zärtlich ihn gestreichelt oder ihm ein Segenskreuz auf die Stirn gezeichnet haben. Furchtlos hat er selbst die verstorbenen Pestkranken zu Grabe getragen. Echte menschliche Nähe lässt edle angemessene Berührung zu. Kamillus folgt darin „seinem Herrn und Meister“. Jesus hat dem fragenden und zweifelnden Thomas diese Nähe der Berührung gewährt. Papst Franziskus zeigt, wie furchtlos man Kranke berühren kann und welche Freude, Kraft und Ermutigung diese daraus schöpfen. In einer Predigt (am 7. Juli 2013) sagt der Papst: „Die Wunden Jesu findest du, wenn du Werke der Barmherzigkeit tust und dem Leib - und auch der Seele - das unterstreiche ich - deines verwundeten Bruders etwas gibst, weil er hungert, weil es ihn dürstet, weil er erniedrigt wird, weil er ein Sklave ist, weil er im Gefängnis ist, weil er im Krankenhaus ist. Das sind die Wunden Jesu heute!“
Kamillus hat nicht nur von der erbarmenden Liebe Gottes gesprochen, er hat sie den Kranken spürbar und erfahrbar erwiesen.
Organisation. Barmherzige Liebe bedarf der Organisation. Der Samariter macht sich Gedanken darüber, wie dem durch die Räuber Verletzten angemessen geholfen werden kann. Kamillus hilft den Kranken, spontan, aber nicht ohne Überlegung. Sein Handeln ist von weiterführenden Gedanken geprägt. Er will zu seiner Zeit, dass die Situation der Kranken, ihre Versorgung grundsätzlich verbessert wird. Es ist für die Gefährten des Kamillus bisweilen schwer, ihrem Vorbild zu folgen. Kaum sieht Kamillus eine Not, schon teilt er Helfer ein, organsiert die Hilfe, sucht Mitstreiter zu gewinnen. Die von ihm verfassten Regeln für seine Gemeinschaft zeigen, dass er bis in Einzelheiten hinein darauf bedacht ist, das Los der Kranken zu erleichtern. Weitblickend erlässt er Vorschriften für den Krankendienst, so wie er ihn sich vorstellt. Er verbindet die liebevolle Hingabe mit der Form, die Hilfe auf Dauer sichert.
Vieles, was Kamillus für die Armen und Kranken tut, lässt ihn zu einem barmherzigen Samariter werden. Er richtet seinen Blick auf Jesus. Dessen Botschaft von der Liebe zu Gott und zum Mitmenschen wird ihm zur Richtschnur seines Lebens. Diesen Jesus hat er im Blick, ihm will er folgen, nicht in frommer Betrachtung, sondern in tatkräftigem Einsatz aller seiner Kräfte, mit der gleichen Hingabe und mit der Zuwendung zu den Armen und Kranken, die er an Jesus erkennt. Kamillus spürt, dass das Opfer fordert, aber er ist bereit, sein Leben nach dem Beispiel Jesu zu opfern, wenn er damit den bedürftigeren Mitmenschen helfen kann. Dabei geht es ihm beständig um Leib und Seele des Armen und Kranken. So sehr er sich in der konkreten Hilfe engagiert, so ist ihm doch immer auch das Seelenheil dessen wichtig, dem er gerade begegnet.
Aus dieser inneren Überzeugung erwächst Kamillus aus seinem Blick auf Jesus, der ihn in den Samariterdienst ruft, eine tiefe Leidenschaft für die Armen und Kranken, eine Leidenschaft, die sein Leben bestimmt. Seine Gefühls- und Willensregungen, „sein Herz“ wendet er denen zu, die seine Hilfe brauchen. Sein Gemüt entfacht in ihm eine fast einzigartige Sensibilität, er setzt Verstand, Willenskraft mit vorbildhaftem Enthusiasmus ein.
Kamillus setzt geradezu buchstäblich das Beispiel vom barmherzigen Samariter um und verwirklicht es ohne Rücksicht auf sich selbst. „Geh hin und tu desgleichen“ - für Kamillus wird dieser Aufruf des liebevollen Jesus zum Programm seines Lebens.
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© Kamillianer 20209.9.2020