Der Heilige Geist
und seine Gaben im Dienst an den Kranken
Pater Dr. Anton Gots
1. Der Heilige Geist im Leben des Christen
Christsein ist Leben im Heiligen Geist. Der Heilige Geist, die dritte Göttliche Person in der Heiligsten Dreifaltigkeit, ist die „Liebe in Person zwischen dem Vater und dem Sohn”. Auch alle Beziehungen Gottes zu den Geschöpfen, auch alle Beziehungen der Menschen zueinander im Guten und Positiven sind getragen und gewirkt vom Heiligen Geist.
In Bezug auf das Leben des Christen lesen wir in der Apostelgeschichte 2,38: „Bekehrt euch, lasst euch taufen auf den Namen des Herrn Jesus Christus zur Vergebung der Sünden und ihr werdet die Gaben des Heiligen Geistes empfangen.” Der Prozess und der Akt der Umkehr zu Gott bestehen darin, Jesus als Herrn anzunehmen (Kol 2,6: „Ihr habt Christus Jesus als Herrn angenommen”). Sagen zu können: „Jesus, ich nehme dich zum Herrn in meinem Leben”, ist wiederum nur möglich in der Kraft des Heiligen Geistes (1 Kor 12,3: „Keiner kann sagen: Jesus ist der Herr, es sei denn im Heiligen Geist.”). In der Taufe sind wir Tempel Gottes geworden und nun wohnt der Heilige Geist in uns (1 Kor 3,16). Im Heiligen Geist rufen wir oftmals zum Vater: „Abba, Vater!” (Röm 8,15). Der Heilige Geist kommt uns zu Hilfe in unserer Schwachheit (Röm 8,26). Er ist schon das Unterpfand der kommenden Herrlichkeit (2 Kor 1,22). Unsere Umwandlung in das Bild des Gottessohnes - Inbegriff auch aller konkreten Nachfolge Christi - geschieht aus der Kraft des Heiligen Geistes (vgl. 2 Kor 3,18). Das tägliche Leben aus dem Heiligen Geist - der „Wandel im Geiste” (Gal 5,16-25) - zeigt sich in Früchten der Heiligkeit und Gerechtigkeit vor Gott und den Menschen: in Liebe, Freude, Langmut, Freundlichkeit, Güte, Treue, Sanftmut, Selbstbeherrschung (Gal 5,22 f.) und in allen übrigen Tugenden. Unser Beten soll ein „Flehen zu aller Zeit im Geiste” sein (Eph 6,18). Christliches Leben ist Leben im Heiligen Geist.
2. Der Heilige Geist ist die Quelle der „Sieben Gaben des Heiligen Geistes” und der „Charismen”
Das Zweite Vatikanum sagt kurz und verständlich über ihren Stellenwert: „Derselbe Geist heiligt außerdem das Volk Gottes nicht nur durch die Sakramente und die Dienstleitungen, er führt es nicht nur und bereichert es mit Tugenden, sondern teilt den Einzelnen, wie er will (1 Kor 12,11), seine Gaben aus und verteilt unter den Gläubigen jeglichen Standes auch besondere Gnaden. Durch diese macht er sie geeignet und bereit, für die Erneuerung und den vollen Aufbau der Kirche verschiedene Werke und Dienste zu übernehmen gemäß dem Wort: Jedem wird der Erweis des Geistes zum Nutzen gegeben”(Lumen gentium, Nr. 12).
Die sieben Gaben des Heiligen Geistes
Die sieben Gaben des Heiligen Geistes sind nach Thomas von Aquin „dauernde Befähigungen, durch die die Fähigkeiten unserer Seele (Verstand, Wille, Gedächtnis, Gemüt) besonders geneigt gemacht werden, mit Leichtigkeit den Antrieb des Heiligen Geistes in sich aufzunehmen und in die Tat umzusetzen.” Sie werden uns im Sakrament der Taufe zusammen mit Glaube, Hoffnung und Liebe mitgegeben. Wenn wir uns der Führung des Heiligen Geistes überlassen und seiner „Bewegung” in uns zustimmen, können sich diese Gaben wunderbar für das Reich Gottes und für unser Heil auswirken. Im Einzelnen lauten sie: Furcht des Herrn, Frömmigkeit, Stärke, Wissenschaft, Rat, Verstand, Weisheit.
Die Charismen des Geistes
„Charisma des Geistes” im weiteren Sinn ist alles, was Gott uns schenkt. Im engeren und eigentlichen Sinn ist es eine unterschiedliche Einzelgabe, die den Christen befähigt, für das Reich Gottes und die menschliche Gemeinschaft fruchtbar zu werden. „Charisma ist eine Einwirkung Gottes, des Heiligen Geistes auf den Menschen, durch welche die in ihm von Geburt an vorhandenen Fähigkeiten intensiviert, geläutert und in den Dienst von Kirche und Gesellschaft gestellt werden” (Heribert Mühlen). Die persönlichen Begabungen bewusst als Geschenke Gottes anzunehmen und sie in den Dienst Gottes zu stellen, ist die Aufgabe von uns Christen. Tun wir es, dann tragen wir bei zur Erneuerung unserer Umwelt und unseres eigenen Lebens.
Der Apostel Paulus erwähnt an drei Stellen seiner Briefe (Röm 12,6-8; Eph 4,7-11 und 1 Kor 12,31b-13,13) insgesamt rund 18 Einzelcharismen. Diese Aufzählung ist jedoch eher eine Beispielsammlung und nicht erschöpfend. In Wirklichkeit gibt es so viele Charismen, wie es Einzelchristen gibt. Die Charismen sind Spezifizierungen des Gnadenlebens des Einzelnen. Im Charisma wird die Gnade Gottes konkret. Jeder Einzelne hat seine eigene Gnadengabe, sein eigenes Charisma (seine Charismen): „Wir haben unterschiedliche Gaben, je nach der uns verliehenen Gnade” (Röm 12,6). Ein und derselbe Geist „teilt einem jeden seine besondere Gabe zu, wie er will” (1 Kor 12,11). Die bei Paulus aufgezählten Charismen haben freilich einen zentralen Stellenwert, eine „kardinale Bedeutung”, das heißt, um sie herum sind bedeutende Begabungen angesetzt, die ihre besondere Wichtigkeit auch für die Gemeinschaft haben. Indem wir sie bei uns entdecken, annehmen, ausbilden und fördern - oft helfen andere Menschen dabei mit – und sie sinnentsprechend aktivieren, d. h. Gott und der Gemeinschaft zur Verfügung stellen, tragen wir zum Segen der Gemeinschaft und zu unserer optimalen Selbstverwirklichung aus der Kraft des Heiligen Geistes bei. „Solche Gnadengaben”, sagt das Zweite Vatikanische Konzil, „ob sie nun von besonderer Leuchtkraft oder aber schlichter und allgemeiner verbreitet sind, müssen mit Dank und Trost angenommen werden, da sie den Nöten der Kirche besonders angepasst und nützlich sind” (Lumen gentium, Nr. 12). „Aus dem Empfang dieser Charismen, auch der schlichtesten, erwächst das Recht und die Pflicht, sie in Kirche und Welt zum Wohl der Menschen und zum Aufbau der Kirche zu gebrauchen”(Apostolicam actuositatem, Nr. 3)
3. Die Charismen im Dienst an den Leidenden und Kranken
Es ist für uns Christen selbstverständlich, dass wir unsere natürlichen Fähigkeiten und Begabungen dadurch zu Gaben des Heiligen Geistes - zu Charismen - werden lassen, dass wir sie im Sinne Gottes zur Verfügung stellen. Wir Christen in der Nachfolge des hl. Kamillus sind darüber hinaus auch aufgerufen, die in der Heiligen Schrift aufgezählten „heilenden Charismen” zu beachten und in uns wirksam sein zu lassen. Als solche so genannten „heilenden Charismen” seien aus den erwähnten „Charismen-Katalogen” des hl. Paulus die folgenden herausgestellt, die mittelbar oder unmittelbar für den Dienst an den Kranken und Leidenden bedeutsam sind.
Besonders wir in der Nachfolge des hl. Kamillus im Dienst an den Kranken sollten uns inständig bemühen, diese „Charismen der Heilung” von Gott zu erbitten und für sie offen zu sein. Sie sind Gottes Ausrüstung für unseren Dienst an den Leidenden zu deren Segen. Im Folgenden seinen einige - nicht alle! - kurz erläutert.
4. Die Charismen zum Wohl der Kranken („heilende Charismen”) - und unser Dienst in der Nachfolge des hl. Kamillus
Die Gabe der Barmherzigkeit
Sie bringt in der Begegnung mit dem Leidenden das „Herz” ein und drückt die tiefste Anteilnahme, die Empathie am Schicksal des Kranken aus. Jesus zeigt am Beispiel des Barmherzigen Samariters (Lk 10,15-37), wie konkret er seinen Aufruf meint: „Seid barmherzig, wie euer Vater im Himmel barmherzig ist” (Lk 6,36). Der hl. Paulus unterstreicht seinen Aufruf zur Ausübung des Charismas der Barmherzigkeit mit dem beachtenswerten Hinweis: „Wer Barmherzigkeit übt, tue es mit Freude!” (Röm 12,8). Wer mit freudigem Herzen im Dienst des barmherzigen Gottes zu stehen bereit ist, der wird für sich selbst auch Barmherzigkeit erlangen (Mt 5,7), verspricht Jesus in der Bergpredigt. Die Werke der Barmherzigkeit sind laut Grundgesetz des Kamillianerordens (Nr. 9 und 10) die ganz besondere Aufgabe des Ordens (im weiteren Sinn aller Schwestern und Brüder in der Nachfolge des hl. Kamillus). Es ist in besonderer Weise unser Charisma und der hl. Kamillus, der „selber die Barmherzigkeit Gottes in seinem eigenen Leben erfahren hat” (Grundgesetz der Kamillianer, Nr. 8), hat uns tief berührende Erweise und zeitlos gültige Beispiele gegeben, wie wir das „Charisma der Barmherzigkeit” zu den Kranken üben sollen.
Die Gabe des Almosengebens
Almosengeben meint die konkrete Hilfeleistung an Armen. Der Geber gibt von seinem eigenen Hab und Gut etwas ab. Und er tut es in Selbstlosigkeit, Freundlichkeit und Güte. Er hilft der leiblichen und existenziellen Not des Armen ab und zugleich drückt er seine Anteilnahme und Wertschätzung aus, statt dass er ihn erniedrigt und demütigt. Vielen Notleidenden ist es peinlich, sie schämen sich, „betteln” oder von anderen lebenserhaltende Gaben annehmen zu müssen. In dem Film über das Leben des hl. Vinzenz von Paul, der in den Fünfzigerjahren des letzten Jahrhunderts unter dem Titel: „Die guten Werke des Herrn Vinzenz” lief, sagt der Heilige am Ende seines Lebens: „Bitten wir Gott, dass er uns unsere guten Werke verzeihe!” - Verzeihe? Warum gute Werke verzeihen? Vielleicht, weil wir die guten Werke, das Almosengeben, so gedankenlos, so nachlässig, so lieblos, so demütigend, so „von oben herab” getan haben? Es braucht neben dem natürlich guten Willen eben auch die Liebe und Feinfühligkeit, die der Heilige Geist schenken muss, damit unser Almosengeben die Zuwendung und die Liebe Gottes durchscheinen lässt und zu Gott weiterführt.
Die Gabe des Gebens
Hier ist eben auch das „Schwester-Charisma” des Almosengebens, das Charisma des Gebens (Röm 12,8) nötig. Richtig, im Geiste Jesu geben zu können, durch welches Schenkender und Beschenkter mit dem „Geber alles Guten”, mit Gott, in Berührung kommen und beide bereichert werden, braucht die Hilfe des Heiligen Geistes. Paulus sagt an der erwähnten Stelle, das Geben solle selbstlos sein – „ohne Hintergedanken!” - und es soll, sagt die Schrift an anderer Stelle, aus einem „freudigen Herzen” kommen (2 Kor 9,7).
Die Gabe des Dienens
Nach den Worten Jesu im Johannesevangelium 13,12-17 u. a. sind der Geist des Dienens und der konkrete Dienst selbst ein Ausweis der echten Jüngerschaft. Jesus ist nach seinen eigenen Worten „nicht gekommen, um sich bedienen zu lassen, sondern um zu dienen und sein Leben hinzugeben als Lösegeld für viele” (Mt 20,28). Diese Gabe des Heiligen Geistes, das Charisma des Dienens, ist bei uns allen im Einsatz für die Leidenden unbedingt nötig. Der hl. Kamillus hat seine Gemeinschaft „Orden der Diener der Kranken” genannt und seine Ordensleute im vierten Gelübde zum Dienst an den Leidenden bis zur Hingabe des eigenen Lebens verpflichtet. Im selbstlosen Dienst ist er selbst mit leuchtendem Beispiel vorangegangen.
Die Gabe des Tröstens
Das „Trösten”, das „Trost-Spenden” gehört zu den fundamentalen Aufgaben der Seelsorge. Nach 1 Kor 14,3 gehört es zum prophetischen Dienst des Christen. Im Namen Gottes sagen wir Mut, Auferbauung, Zuversicht - ja Gottes Liebe und Nähe zu, dann und dort, wann und wo ein Mensch mutlos, geängstigt, ja der Verzweiflung nahe ist. Wie oft ist diese Situation nicht gegeben, wenn wir an der Stätte eines leidenden oder kranken Menschen auftauchen! Richtig trösten zu können ist eine Kunst, sie will gekonnt sein. Der Heilige Geist, der nach Jesu Wort uns im rechten Augenblick die Worte eingeben wird, ist so nötig auch zum rechten Trösten! Dort, wo Worte versagen oder nicht mehr am Platz sind, dürfen wir wissen, dass unsere schlichte Anwesenheit allein schon Trost bedeutet und den Betrübten und Leidenden die Anwesenheit und Teilnahme Gottes erfahren lässt.
Die Gabe der Heilung
Der Heilungsauftrag des Herrn als Fortsetzung seines eigenen heilenden Handelns ist gleichfalls eine fundamentale Aufgabe der Kirche - zum Erweis der in ihm angebrochenen und hier und jetzt wirksamen Gottesherrschaft. Seit Beginn der Kirche hat dieser Auftrag seine verschiedensten konkreten Formen: die sozial-karitativen Dienste an Leidenden, wie Pflege und allseitige Fürsorge; institutionelle Formen durch Gesundheitseinrichtungen (Heime, Krankenhäuser etc.); therapeutische Maßnahmen verschiedenster Art; und vor allem die geistig-geistlichen Dienste: wie die liebende, heilende Gemeinschaft, welche Geborgenheit schenkt, die heiligen Sakramente, besonders das Sakrament der Krankensalbung, die Gottesdienste, der Gebetsdienst für die Kranken. Die kirchliche Gemeinschaft als solche, die sich ihres Auftrags vom Herrn für die Leidenden bewusst ist, wie auch der Einzelchrist sind die „Organe”, die „Werkzeuge” des Herrn, deren er sich bedient, um auch hier und heute noch seine heilende Liebe weiter zu geben und körperliche und seelische Heilung sowie Ordnung in den sozialen Beziehungen zu schenken. Zur Annahme dieses vielgestaltigen Heilungsauftrages, in dessen Mittelpunkt immer der leidende Mensch in allen Dimensionen seines Menschseins steht, braucht es einen erwartenden Glauben und den Mut, alles Vertrauen auf den Herrn zu setzen und Gottes Werkzeug für die Leidenden sein zu wollen. Wenn Paulus sagt: „Strebt nach den höheren Gnadengaben!”(1 Kor 12,31) und wenn das Zweite Vatikanische Konzil, wie oben erwähnt, förmlich mahnt, die Gnadengaben des Heiligen Geistes mit Dank anzunehmen zum Wohl der Menschen und zum Aufbau der Kirche (Apostolicam actuositatem, Nr. 3), dann heißt das für die Söhne und Töchter des hl. Kamillus schlicht, das Charisma des Krankendienstes als Heilungscharisma bewusst zu erstreben und sich persönlich als Werkzeug des Heiligen Geistes gebrauchen zu lassen.
Die einzelnen „heilenden Charismen”, wie sie hier nur andeutungsweise aufgezählt sind, würden es verdienen, ausführlicher dargestellt und für den „täglichen Gebrauch” in unserem kamillianischen Dienst erklärt zu werden. Niemals aber wird es in unserem Einsatz für die Kranken ohne das demütige Gebet um die „heilenden Charismen”, ohne die Bereitschaft und Offenheit für den Heiligen Geist - und ohne Mut möglich sein, unserer Aufgabe gerecht zu werden.