Aufbruch zu den Armen Haitis
Eine fast weihnachtliche Geschichte
Im Aids-Zentrum der Mutter-Teresa-Schwestern
Es begann mit einer Herbergssuche. Am 20. September 1995 abends trafen die ersten drei Kamillianer-Pioniere in der Hauptstadt des Landes, Port-au-Prince, ein. Das Quartier war für vier Wochen bestellt. Bei der Ankunft erfuhren sie, dass sie bereits nach einer Woche zu gehen hätten. Hektische Telephonate folgten. Eine angepriesene Nobelvilla stellte sich als unbewohnbare Bruchbude heraus. Schließlich erbarmten sich Ordensschwestern der drei Kamillianer und boten ihnen ein innerhalb ihres Grundstücks gelegenes kleines Haus an. Der erste Schritt war getan. Auch der Bischof zeigte sich von den neuen Missionaren nicht übermäßig begeistert, da sie nicht in seinem Krankenhaus arbeiten wollten. Doch die drei Idealisten wollten wirklich den Ärmsten der Armen dienen und nicht etablierte Strukturen verstärken ... und landeten schließlich in einem Hospiz für Aidskranke.
Das Hospiz gehört den Schwestern der Mutter Teresa und befindet sich in einem der schlimmsten Elendsviertel der rund 850.000 Einwohner zählenden Hauptstadt. Es bietet Platz für 150 Aidskranke in der Endphase ihres Lebens. Die meisten sterben innerhalb weniger Tage. 90 Prozent sind nicht älter als 20 bis 30 Jahre. Aids hat in Haiti bereits die Ausmaße einer Epidemie. In Verbindung mit Tbc rafft sie Tausende hinweg.
Die gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung ist unbeschreiblich. Nur die Ordensgemeinschaften kümmern sich wirklich um die Kranken, neben den Missionarinnen der Nächstenliebe auch die Barmherzigen Schwestern. Die Kamillianer erzählen, wie sie damals im November einen bestialischen Leichengeruch über der Stadt erlebten, weil sich in den staatlichen Krankenhäusern mehr als 700 Leichen unversorgt angesammelt hatten ... „Man kann sich in dem tropischen Klima den Gestank vorstellen, der über eine Woche lang die Luft verpestete.“
Unter diesen Armen begannen die Patres Antonio Menegon, Crescenzo Mazella und Serge Mercet ihren Dienst, und zwar genau so, wie es ihr Ordensgründer Kamillus von Lellis vorgesehen hatte: Krankenpflege und Krankenseelsorge. Krankenpflege: Waschen, Rasieren, Haarschneiden und Füttern der Patienten. Und Seelsorge heißt Zuhören, Trösten, Mut zusprechen und Begleitung der Sterbenden durch Spendung der Sakramente. Haiti ist zu 80 Prozent katholisch, auch wenn die Voodoo-Riten das Land bekannt gemacht haben.
Ein ausgebeutetes und ausgeblutetes Volk
Der Start der Kamillianer 1995 in Haiti fiel in eine von Terror und Gewalt geprägte Zeit. Es ging um die Parlamentswahlen am Ende der Ära Duvalier. Der Diktator François Duvalier hatte 1957 in Haiti die Macht übernommen und sich zum Präsidenten auf Lebenszeit ernennen lassen. Nach seinem Tod 1971 wurde er von seinem Sohn Jean Claude, genannt „Baby Doc“, abgelöst, der nach blutigen Unruhen und Streiks 1986 Haiti verlassen musste. Die ersten freien Wahlen in dem von der Familie Duvalier ausgeplünderten Land gewann 1990 der ehemalige Salesianerpater Bertrand Aristide. Doch die „Wende“ gelang nicht: Nach einem blutigen Jahr im Kampf um soziale Reformen kam es im September 1991 zu einem Militärputsch. Aristide flüchtete in die USA. Die darauffolgende dreijährige Militärdiktatur forderte über 4.000 Tote. Die USA verhängten ein Wirtschaftsembargo, das ohnehin schon bitterarme Land wurde noch ärmer. Und man kann kaum sagen, dass es seitdem besser geworden ist.
Das Projekt: ein Gesundheits- und Sozialzentrum
Inzwischen hatten sich die Kamillianer in das Land eingelebt und die Umgangssprache Kreolisch gelernt: Zeit, sich eine eigene Aufgabe zu suchen. Nach langwierigen Verhandlungen erwarben sie das Grundstück eines nach Miami geflüchteten Duvalier-Anhängers, einst Direktor einer Zeitung und einer Rundfunkanstalt. Das Grundstück liegt einige Kilometer außerhalb von Port-au-Prince und doch nahe genug am Elendsgürtel der Stadt, wo Hunderttausende über keinerlei Zugang zu einer gesundheitlichen Versorgung verfügen. Auf diesem Grundstück wollen die Kamillianer ihren Traum verwirklichen und ein Gesundheits- und Sozialzentrum für schwerstgeschädigte Kinder, Behinderte und Aidskranke errichten. Diese Menschen brauchen ganz dringend Hilfe, denn als unheilbar Kranke und hoffnungslose „Fälle“ ist für sie in den wenigen staatlichen Krankenhäusern kein Platz. Neben dem Poliambulatorium sollte ein Teil des Gebäudes auch der Rehabilitation dienen sowie der Ausbildung von Krankenpflegern und Sozialarbeitern.
Liebe Freunde unserer Missionare!
Immer wieder geht es unserem Orden um das eine: um Heil und Heilung für die Welt. Es ist der Auftrag Jesu: Geht hin, verkündet das Evangelium und heilt die Kranken ... Jetzt auch in Haiti. Das ist nicht nur wegen der „Herbergssuche“ eine weihnachtliche Geschichte, sondern auch, weil es um arme, kranke und verlassene Kinder geht. Unter ihnen wurde Jesus damals Mensch, ihr Leben hat er geteilt. Das ist unsere „Option für die Armen“ ...
(aus: Missionsnachrichten der Kamillianer Nr. 4 / 2000)
© Kamillianer 2010 - [Stand: 11.03.2010] zurück