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„Eine Stütze für Gesellschaft und Kirche“
Ansprache von Bischof Dr. Wilhelm Egger (†) bei der Feier „50 Jahre Blindenapostolat in Südtirol“ am 9. September 2006 |
Verehrte und liebe Festversammlung, ich beginne mit einem Wort des Dankes. Es ist der Dank für 50-jährige Treue zum religiösen und sozialen Programm des Blindenapostolates. Das Blindenapostolat ist eng mit unserer Ortskirche verbunden. Es ist eine kirchlich anerkannte Vereinigung; das bedeutet, dass das Religiöse für die Vereinigung wichtig ist und die Diözese die Verbindung durch einen Geistlichen Assistenten aufrechterhält, der ihren Weg begleitet und stützt.
Die Bedeutung des Glaubens für das Blindenapostolat zeigt sich in vielen Initiativen. Das Blindenapostolat ist Anlaufstelle für die religiöse Bildung Sehgeschädigter. Die kirchliche Ausrichtung zeigt sich auch im Kontakt zu den Pfarrgemeinden, mit den kirchlichen Zentralstellen und mit den katholischen Blindenorganisationen im In- und Ausland.
Das Blindenapostolat hat in seinen 50 Jahren Großartiges geleistet. Ein Zeugnis ist das Blindenzentrum „St. Raphael“ in Bozen, das vielen Heimat bietet. Aber noch wichtiger ist die geistige und geistliche Arbeit, die das Blindenapostolat geleistet hat. Der Glaube an einen Gott, der ein Gott des Lebens ist, kann Menschen, die die Welt nicht so wahrnehmen können wie Sehende, eine wertvolle Stütze sein. Ich danke für das Gebet, das durch die Gebets- und Glaubensgemeinschaft der Kamillianischen Familie einen Schwerpunkt innerhalb des Blindenapostolates bildet.
Ich danke den Geistlichen Assistenten Josef Moroder und August Prugger und allen, die im Vorstand gearbeitet haben und arbeiten - unter den Vielen nenne ich Frau Mariedl Fischnaller Pircher. Ich danke allen Mitarbeitenden in „St. Raphael“ und ich danke den vielen Raphaels.
Als Bischof ist mir übergeben, dass ich das gute Wort Gottes weitervermittle. Das möchte ich jetzt tun. Morgen handelt das Evangelium von der Heilung eines Taubstummen und die Lesung aus dem Buch des Propheten Jesaja stellt uns die neue Welt Gottes vor, in der die Lahmen gehen, die Stummen reden, die Blinden sehen. Das ist ein Blick auf die neue, uns verheißene Welt. Und was gibt es für diese Zwischenzeit, in der wir leben?
Den blinden Menschen in die Mitte stellen
Eine erste biblische Botschaft dazu ist jene über den Platz der Blinden, Sehgeschädigten und Taubblinden in der Gemeinschaft, die von Jesus gegründet ist. Wo stehen sie: am Rand oder in der Mitte? Im Volk Israel vor Jesus durfte niemand, der an einem Gebrechen litt, zum Opferdienst und ins Heiligtum kommen. Es galt die Vorschrift: „Keiner mit einem Gebrechen darf herantreten, kein Blinder oder Lahmer. Er hat ein Gebrechen, er darf nicht herantreten, um die Speise seines Gottes darzubringen.“ So waren die Menschen, die blind und lahm waren, ausgeschlossen und an den Rand gedrängt.
Bei Jesus ändert sich dies: Er drängt andere an den Rand und stellt andere in die Mitte. Es heißt bei der Tempelreinigung: „Jesus ging in den Tempel und trieb die Händler und Käufer aus dem Tempel hinaus.“ Und nun: „Im Tempel kamen Lahme und Blinde zu ihm und er heilte sie.“ So hat er diese Menschen in die Mitte gestellt.
Aufmerksamkeit gegenüber den Blinden
Eine zweite Anweisung der Bibel für unsere Zeit ist die Forderung der Aufmerksamkeit gegenüber den Blinden. Und zwar ist es eine Forderung, die begründet wird mit der Heiligkeit Gottes. Religion bedeutet ja immer auch eine soziale Verpflichtung. In einem Abschnitt der Bibel, heißt es: „Der Herr sprach zu Mose: Rede zur ganzen Gemeinde der Israeliten und sag zu ihnen: Seid heilig, denn ich, der Herr, euer Gott, bin heilig.“ Und da findet sich eine Weisung, dass die Wehr- und Hilflosigkeit der Menschen nicht ausgenützt werden darf. Das heißt: „Du sollst einen Tauben nicht verfluchen und einem Blinden kein Hindernis in den Weg stellen. Vielmehr sollst du deinen Gott fürchten, ich bin der Herr.“ Dass man einem Blinden kein Hindernis in den Weg legt, das ist uns unmittelbar verständlich. Aber was heißt: Den Tauben nicht verfluchen? Da ist fast die Vorstellung, dass ein Fluch wirkt. Und einer, der das nicht hört, kann sich gar nicht dagegen wehren. Deswegen heißt es, dass man Wehr- und Hilflosigkeit - in welcher Form auch immer - nicht ausnützen dürfe.
Deswegen ist es die Aufgabe unserer kirchlichen Gemeinschaft, dass uns Menschen mit Sehbehinderung am Herzen liegen, weil Jesus sich der Blinden angenommen hat und weil er uns eine Vorstellung davon gegeben hat, was die neue Welt Gottes sein wird.
Das Blindenapostolat setzt sich dafür ein, den Menschen deutlich zu machen, dass es Hoffnung auf eine neue Welt gibt und dass es auch jetzt schon Hilfe und gegenseitige Unterstützung gibt.
Das Herz sieht das Wesentliche
Ein drittes gutes Wort Gottes entspricht menschlichen Fragen und der Botschaft Jesu. Sie kennen das Wort von Antoine de Saint Exupery: „Man sieht nur mit dem Herzen gut, das Wesentliche ist für die Augen unsichtbar.“ Jesus sagt das auf seine Weise, indem er sagt: Es gibt eine Blindheit des Herzens. Jesus sieht den ganzen Menschen. Es gibt Sehende, die blind sind, und Blinde, die sehen. Und manchmal sind die Blinden wissender und sehender als die Sehenden, weil sie mehr auf das Wesentliche gehen und in vielem sensibler sind für bestimmte Wirklichkeiten.
So können Menschen, die sehbehindert sind, zu einer Botschaft für die heutige Welt werden - für eine Gesellschaft, die sich allzu leicht von äußeren Eindrücken verführen lässt, die das Religiöse viel zu wenig achtet und allzu leicht das Wesentliche, das unsichtbar ist, aus den Augen verliert. Das Herz sieht das Wesentliche.
Dem Blindenapostolat wünsche ich weiterhin ein gedeihliches Wirken im Bewusstsein, dass es nicht nur für die Mitglieder eine wertvolle Stütze ist, sondern für unsere ganze Südtiroler Gesellschaft und auch für unsere Kirche.
Quelle: „Wie ein starker Baum.“ Festschrift 50 Jahre Blindenapostolat Südtirol.
© Kamillianer 2010 - [Stand: 14.01.2010] zurück