Kamillianer

29.07.2012
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Leben in Fülle ...


29. Juli 2012: Pater Levente feiert seine erste hl. Messe in seiner Heimatpfarre Csikszereda. Neben ihm Primizprediger Dechant Ferenc Simon. Im Hintergrund Pater Alfréd György und Pater Leonhard Gregotsch.

Predigt von Dechant Ferenc Simon (Wien) bei der Primiz von Pater Levente Gyula Kovács am 29. Juli 2012 in der Pfarrkirche Szt. Kereszt (Heiligenkreuz) in Miercurea-Ciuc/Czíkszereda in Rumänien.
(Die Lesungen stammen aus dem zweiten Buch der Könige, Kapitel 4, Verse 42 bis 44, und dem Johannesevangelium, Kapitel 6, Vers 1-15.)

Überfluss hat in unseren westlichen Gesellschaften einen negativen Ruf, obwohl wir alle gut im Überfluss leben. Die Kritik an diesem Umgang mit dem Überfluss ist berechtigt. Aber der Überfluss selbst ist etwas durch und durch Gutes. Und darum bringt die Bibel Gott kritiklos mit dem Überfluss in Verbindung. Der Prophet Elischa zitiert Gottes Wort, holt ihn in die Gegenwart der hundert hungernden Männer (vgl. 2 Kön 4,42-44). Die Mägen füllen sich und es bleibt noch übrig. Gottes Gegenwart hat etwas Überfließendes. Die Gaben der Schöpfung, die Brote und die Körner, werden durch Elischa zu Zeichen der Nähe Gottes. Es ist Gottes Schöpfung, die uns das Lebensnotwendige schenkt. In ihr ist Gott selbst uns nahe. Es bleibt etwas übrig. Dies will den Satten zweierlei zeigen: Gottes Sorge um uns reicht über den Augenblick hinaus. Wir können gelassen sein. Gottes Zusage seiner Fürsorge gilt auch für die Zukunft. Und: Das Übriggebliebene macht es uns möglich, selbst fürsorglich mit unseren Mitmenschen umzugehen. Jemandem zu essen zu geben heißt, ihr oder ihm zu sagen: Ich will, dass du leben kannst. „Ich bin gekommen, damit sie das Leben in Fülle haben“, so beschreibt Jesus seinen göttlichen Auftrag (Joh 10,10). In Jesu Nähe finden Menschen neue Lebensmöglichkeiten: Blinde sehen wieder, Verkrampfungen lösen sich, stumm Gewordene finden neue Worte, Schuld wird vergeben ...

Die Menschen suchen nach einem Leben in Fülle — wir sind mit dem Mangel beschäftigt.

Nach dem Leben in Fülle suchen viele Menschen auch in unserer Zeit. Die Kirche ist der Ort, an dem Jesus uns Menschen heute begegnet. Leider sind wir in der Kirche viel zu viel mit dem Mangel beschäftigt. Wie das Überfließende, Bereichernde des Glaubens vermitteln inmitten einer Verwaltung des Mangels? Wir haben nicht genug. Der Prophet Elischa sagt auch uns Gottes Wort: „Man wird essen und noch übriglassen.“

Als seine Jüngerinnen und Jünger ist es unsere Aufgabe, Jesus als das Brot des Lebens zu vermitteln. Heute sind wir gerufen, die Not und den Hunger der Menschen unserer Zeit zu sehen, sie im Gebet vor Gott zu tragen und anzufangen, die Not zu lindern.

Von dem kleinen Jungen im Evangelium (Joh 6,9 f.) können wir lernen, er kann uns Vorbild sein. Es ist falsch zu sagen: Was hilft denn schon mein kleiner Beitrag angesichts der großen Probleme in der Welt? Wenn jeder von uns seinen auch noch kleinen Beitrag leistet, dann kann in unserer kleinen Welt, in der wir leben, und auf der großen weiten Welt vieles verändert und zum Guten gewendet werden. Wir sind eingeladen, das Wenige, das wir haben, das zum Leben Notwendige, nicht festzuhalten, sondern zu teilen, zu geben, zu verschenken.

Das vierte Gelübde: Barmherzigkeit

Barmherzigkeit hat in den unterschiedlichen Zeiten immer auch eine unterschiedliche Ausprägung gehabt. Die Gestalt der Barmherzigkeit wandelt sich. Wie könnte Barmherzigkeit heute aussehen? Vielleicht so wie es der Erfurter Bischof Joachim Wanke einmal gesagt hat. Die sieben Werke der Barmherzigkeit für Europa und Ungarn heute könnten sein:

1. Einem Menschen sagen: „Du gehörst dazu.“

Was unsere Gesellschaft oft kalt und unbarmherzig macht, ist die Tatsache, dass in ihr Menschen an den Rand gedrückt werden: die Arbeitslosen, die Ungeborenen, die psychisch Kranken, die Ausländer usw. Das Signal, auf welche Weise auch immer ausgesendet: „Du bist kein Außenseiter!“ „Du gehörst zu uns!“ — z. B. auch zu unserer Pfarrgemeinde — das ist ein sehr aktuelles Werk der Barmherzigkeit.

2. Ich höre dir zu

Eine oft gehörte und geäußerte Bitte lautet: „Hab doch einmal etwas Zeit für mich!“ „Ich bin so allein!“ „Niemand hört mir zu!“ Die Hektik des modernen Lebens, die Ökonomisierung von Pflege und Sozialleistungen zwingt zu möglichst schnellem und effektivem Handeln. Es fehlt oft — gegen den Willen der Hilfeleistenden — die Zeit, einem anderen einfach einmal zuzuhören. Zeit haben, zuhören können — ein Werk der Barmherzigkeit, paradoxerweise gerade im Zeitalter technisch perfekter, hochmoderner Kommunikation so dringlich wie nie zuvor!

3. Ich rede gut über dich

Jeder hat das schon selbst erfahren: In einem Gespräch, einer Sitzung, einer Besprechung — da gibt es Leute, die zunächst einmal das Gute und Positive am anderen, an einem Sachverhalt, an einer Herausforderung sehen. Natürlich: Man muss auch manchmal den Finger auf Wunden legen, Kritik üben und Widerstand anmelden. Was heute freilich oft fehlt, ist die Hochschätzung des anderen, ein grundsätzliches Wohlwollen für ihn und seine Anliegen und die Achtung seiner Person. Gut über den anderen reden — ob nicht auch Kirchenkritiker manchmal barmherziger sein könnten?

4. Ich gehe ein Stück mit dir

Vielen ist mit einem guten Rat allein nicht geholfen. Es bedarf in der komplizierten Welt von heute oft einer Anfangshilfe, gleichsam eines Mitgehens der ersten Schritte, bis der andere Mut und Kraft hat, allein weiterzugehen. Das Signal dieses Werkes der Barmherzigkeit lautet: „Du schaffst das! Komm, ich helfe dir beim Anfangen!“ Unsere Sozialarbeiter der Caritas wissen, wovon ich rede. Aber es geht hier nicht nur um soziale Hilfestellung. Es geht um Menschen, bei denen vielleicht der Wunsch da ist, Gott zu suchen. Sie brauchen Menschen, die ihnen Rede und Antwort stehen und die ein Stück des möglichen Glaubensweges mit ihnen mitgehen.

5. Ich teile mit dir

Es wird auch in Zukunft keine vollkommene Gerechtigkeit auf Erden geben. Es braucht Hilfe für jene, die sich selbst nicht helfen können. Das Teilen von Geld und Gaben, von Möglichkeiten und Chancen wird in einer Welt noch so perfekter Fürsorge notwendig bleiben. Ebenso gewinnt die alte Spruchweisheit gerade angesichts wachsender gesellschaftlicher Anonymität neues Gewicht: „Geteiltes Leid ist halbes Leid, geteilte Freude ist doppelte Freude!“

6. Ich besuche dich

Meine Erfahrung ist: Den anderen in seinem Zuhause aufsuchen ist besser, als darauf warten, dass er zu mir kommt. Der Besuch schafft Gemeinschaft. Er holt den anderen dort ab, wo er sich sicher und stark fühlt. Die Besuchskultur in unseren Pfarrgemeinden ist sehr kostbar. Lassen wir sie nicht abreißen! Gehen wir auch auf jene zu, die nicht zu uns gehören. Sie gehören Gott, das sollte uns genügen.

7. Ich bete für dich

Wer für andere betet, schaut auf sie mit anderen Augen. Er begegnet ihnen anders. Auch Nicht-Christen sind dankbar, wenn für sie gebetet wird. Ein Ort in der Stadt, im Dorf, wo regelmäßig und stellvertretend alle Bewohner in das fürbittende Gebet eingeschlossen werden, die Lebenden und die Toten — das ist ein Segen. Sag es als Mutter, als Vater deinem Kind: Ich bete für dich! Tun wir es füreinander, gerade dort, wo es Spannungen gibt, wo Beziehungen brüchig werden, wo Worte nichts mehr ausrichten. Gottes Barmherzigkeit ist größer als unsere Ratlosigkeit und Trauer.

Ich wünsche dir, lieber Levente, und uns allen, dass uns der heilige Kamillus helfe, barmherziger zu leben, damit wir menschlichere Menschen werden und so zu IHM gelangen. Amen.

© Kamillianer 2012 - 2012 [Stand: 29.09.2012]zurück     nach oben