Lepra, die uralte Geißel der Menschheit, ist heilbar
Kamillus von Lellis - Patron der Kranken und ihrer Helfer
Mit der Einrichtung des Weltlepratages im Jahr 1954 hatte der französische Journalist Raoul Follereau ein lang ersehntes Ziel erreicht. Am letzten Sonntag im Monat Januar sollte die Aufmerksamkeit der Weltöffentlichkeit auf das vergessene Schicksal der Leprakranken gelenkt werden. Raoul Follereaus Vision: Lepra, die uralte "Geißel der Menschheit" muß systematisch bekämpft werden. Millionen von "Aussätzigen" werden wieder in ein menschenwürdiges Leben zurückkehren.
12 Millionen Leprakranke - ein Skandal
"Es ist ein Skandal, daß die Zahl der Leprakranken noch immer so hoch ist." So Papst Johannes Paul II. bei einem Besuch eines Lepradorfs in Guinea-Bissau in Westafrika am Weltlepratag 1990. Dabei sei die Lepra verhältnismäßig leicht auszurotten. Die Menschheit müsse sich von Egoismus und Gleichgültigkeit befreien und den Leprakranken helfen. Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat sich das Ziel gesetzt, die Lepra bis zum Jahr 2000 auszurotten. Leider hat das auch dazu geführt, das Kapitel abzuhaken und im Kampf gegen die Lepra nachzulassen, während die Krankheit weiter grassiert.
Seit über 40 Jahren lebt dieser Mann im Lepradorf Ilena auf Madagaskar
Tatsächlich ist die Zahl der Leprakranken trotz aller medizinischen Erfolge kaum kleiner geworden. Noch immer muß man in den Elendsgebieten Asiens, Afrikas, Lateinamerikas und Ozeaniens mit 12 bis 15 Millionen Leprakranken rechnen. In 24 Ländern der Welt ist Lepra noch immer eine ernsthafte Bedrohung. An der Spitze: Thailand, Indien, Madagaskar und China. Länder wie Brasilien oder Thailand ignorieren das Problem einfach. Offiziell gibt es dort keine Leprakranken mehr. Und überhaupt nicht abzuschätzen ist wegen der langen Inkubationszeit die Dunkelziffer. Keine Frage, der Weltlepratag, diese bahnbrechende Idee Raoul Follereaus, ist noch immer aktuell.
Was ist Lepra?
1869 entdeckte der Norweger Gerhard Hansen den Leprabazillus (Mycobacterium leprae). Damit wurde eine systematische Bekämpfung der "Hansen-Krankheit" möglich. Der dem Tbc-Erreger ähnliche Leprabazillus überträgt sich durch Hautkontakt, entwickelt sich jedoch oft sehr langsam. Es kann drei, aber auch 30 Jahre bis zum Ausbruch der Lepra dauern.
Die Behandlung der Lepra beginnt mit der Pflege der Wunden
Dabei sind zwei Formen der Lepra zu unterscheiden: die tuberkuloide und die hoch ansteckende lepromatöse Form. 80 Prozent der Erkrankungen beginnen mit weißen, gefühllosen Flecken auf der Haut. Das ist die Lepra in ihrer tuberkuloiden, nicht ansteckenden Form. Bei 20 Prozent der Infizierten bilden sich auf dem ganzen Körper Knoten, eitrige Geschwüre und Beulen. Diese "lepromatös" genannte Form der Lepra ist sehr ansteckend. Im Verlauf einer unbehandelten Lepra werden zunächst die Schleimhäute und Nerven geschädigt. Das führt zu Gefühllosigkeit und Lähmungen an Beinen, Armen und Augenlidern. Unbehandelt werden Finger und Zehen steif, die Knochen eitrig; die Nasenscheidewand fällt ein. Die von der Lepra Befallenen haben kein Schmerzempfinden. So kommen Wunden, Hautverletzungen oder schwere Verbrennungen hinzu. Am Ende stehen dann irreversible Schädigungen: Gelenkstarre, Geschwüre, Blindheit, schwere Deformationen von Knochen und Gewebe, Verkrüppelungen.
"Ausgesetzt!"
Noch schlimmer als alle äußeren Entstellungen war und ist oft noch immer der "soziale Tod", das Ausgestoßensein aus dem Dorf und dem Familienverband. Oft sogar noch religiöse Begründungen: Der Leprakranke stehe unter dem Fluch Gottes. Seine Krankheit sei Strafe für seine Sünden. - Was bedeutet es da für einen Leprakranken, die Botschaft von einem Gott zu hören, der jeden Menschen annimmt und seine Liebe und sein Erbarmen gerade den Ärmsten der Armen zuwendet.
Medikamente wirken Wunder
Prothesen und Krücken fördern die Selbständigkeit der Kranken
Lepra ist heute heilbar. Es gibt Medikamente, die sie wirksam bekämpfen. Zum Beispiel das vielfach bewährte Sulfonpräparat DDS (Diaminodiphenylsulfon). Das bereits 1941 entwickelte Medikament vermag die Krankheit in jedem Stadium zu stoppen. Heute sind allerdings manche Formen der Lepra gegen DDS resistent. Außerdem erfordert DDS eine lange und konsequente Einnahme, oft über 10 bis 20 Jahre hinweg. Eine so langjährige Therapie ist in der Dritten Welt kaum möglich.
Deshalb hat man heute aus Medikamenten wie Rifampicin, Clofazimin und anderen eine "Kombinationstherapie" entwickelt. Mit Hilfe dieser Medikamente dauert es sechs Monate bis zwei Jahre, bis ein Leprakranker geheilt ist. Doch sind diese Medikamente verhältnismäßig teuer. Die Heilung eine leprakanken Menschen kann bis zu 150 Euro kosten, je nach Schwere der Erkrankung. Man kann nur hoffen, daß es bald eine Schutzimpfung gegen Lepra gibt. Dann wäre alles viel einfacher. Leider ist die Lobby der Leprakranken in der Pharma-Industrie jedoch nur schwach entwickelt.
Doch so groß die Heilungschancen der Lepra dank dieser wunderbaren Medikamente schon sind, sie können doch die wachsende Ausbreitung dieser Krankheit nicht verhindern. Das wäre nur möglich, wenn sich die krankmachenden Lebensbedingungen in den Ländern des Südens ändern.
Eine Krankheit der Armut
Die elenden Behausungen in einem Lepradorf in Südchina
Die Ursache für die Ausbreitung der Lepra liegt nicht etwa am Klima in den Tropen. Sondern in den Lebensbedingungen der Dritten Welt. Die Lepra ist eine Krankheit der Armut, und die Armen sind ihre Opfer.
Die erste Ursache für die Ausbreitung der Lepra ist mangelnde Hygiene, verbunden mit einer oft katastrophalen Wohnsituation. Die Slums am Rande der großen Städte in der Dritten Welt wachsen von Tag zu Tag. Wo Dutzende Menschen auf engstem Raum zusammenleben, läßt sich eine Ansteckung nicht verhindern. Ein Blick auf die Wasserversorgung und die sanitären Einrichtungen sagt alles: Im selben Wasser, in dem sich Hunde und Schweine tummeln, baden die Menschen, waschen sie ihre Wäsche und schöpfen ihr Trinkwasser. Abwässer und Fäkalien samt allen nur denkbaren Krankheitskeimen verunreinigen das Wasser zusätzlich. Wasser ist in den Tropen kostbar. In den Regenpfützen auf der Straße wird das Obst gewaschen: ein fataler Kreislauf von Viren und Bazillen aller Art! 90 Prozent der Menschen in den Entwicklungsländern fehlt es an sauberem Trinkwasser. Das ist die Ursache für 80 Prozent aller Krankheiten! Vier Fünftel aller Krankheiten wären weltweit zu verhindern, wenn die Menschen nur sauberes Wasser zum Trinken hätten.
Die zweite Ursache: Hunger und Unter- beziehungsweise Fehlernährung. Ein Drittel aller Menschen in den Ländern des Südens ist absolut unterernährt. Die Folge ist eine mangelhafte Ausbildung der körpereigenen Abwehrkräfte, auch gegenüber dem Leprabazillus. Aber auch Fehlernährung, das heißt einseitige Ernährung oder falsche Behandlung von Lebensmitteln führt zu Mangelerscheinungen und erleichtert die Infektion.
Eine weitere Ursache liegt in der hohen Geburtenfreudigkeit. Die vielen Schwangerschaften und Geburten führen zu einer massiven Schwächung der Mutter. Und zur Vernachlässigung der älteren Kinder, die sich ihre Nahrung oft selber suchen müssen. Die Kindersterblichkeit in der Dritten Welt ist erschreckend hoch. In Afrika erreicht nur jedes dritte Kind das fünfte Lebensjahr. Über 65 Prozent der Kinder sterben vorher! Weltweit schätzt man die Zahl der lepragefährdeten Kinder auf hundert Millionen.
Unser Hilfsprogramm
Entscheidend ist die Früherkennung der Lepra
Dank der modernen Medizin kann man heute mit Medikamenten wirksam helfen. Die medizinische Behandlung der Lepra und ihrer Folgeerkrankungen steht an erster Stelle: durch Bereitstellung der notwendigen Medikamente, durch physikotherapeutische Maßnahmen und Bewegungsübungen, durch Muskel-, Sehnen- und Hautverpflanzungen (Plastische Chirurgie, Wiederherstellungschirurgie). Hilfen wie Prothesen, orthopädisches Schuhwerk, Rollstühle müssen bereitgestellt werden, verbunden mit einem wirksamen Schutz vor weiteren Verletzungen. Dann braucht es Hilfen zur "Resozialisierung", also zur Wiedereingliederung des geheilten Menschen in die Gemeinschaft und in den Arbeitsprozeß. Das geschieht durch Unterricht und Vermittlung handwerklicher Fähigkeiten in Werkstätten oder in der Landwirtschaft. Im Antileprazentrum von Abomey/Benin in Westafrika hilft man darüber hinaus bei der Errichtung eines eigenen Hauses. Der Geheilte wird oft erst dann von der Gesellschaft wieder voll akzeptiert, wenn er ein eigenes Haus hat. Erst dann ist auch die "soziale Heilung" abgeschlossen. Hand in Hand damit müssen Aufklärung und Information gehen, um den Menschen die irrationale Angst vor der Lepra zu nehmen und sie zur Annahme der Kranken und zur aktiven Mithilfe am Heilungsprozeß zu führen.
Änderung der Lebensbedingungen
Auf Dauer kann sicher nur eine Änderung der Lebensbedingungen helfen. Lepra ist eine Krankheit der Armut, die Armen sind ihre Opfer. Das bedeutet Kampf gegen Hunger, Fehlernährung und mangelnde Hygiene in den Ländern des Südens. Man muß den Hunger stillen, falsche Eßgewohnheiten ändern und bessere Anbaumethoden lehren. Sauberes Wasser, der Bau von Brunnen und sanitären Einrichtungen können den Teufelskreis der Krankheiten verhindern. In dem erwähnten Antileprazentrum von Abomey nimmt man die Familie des Leprakranken mit auf und bezieht sie in den Heilungsprozeß ein. Dabei können notwendige neue Lebensgewohnheiten eingeübt werden, zum Beispiel, was Hygiene und Ernährung angeht. Nicht zuletzt sollen sich die Patienten durch Arbeit ihren Lebensunterhalt verdienen. Das hebt das Selbstwertgefühl und bereitet auf die spätere Selbständigkeit vor.
Im Kampf gegen die Lepra vereint
Leprakranke Frau in China
Dank seiner weltweiten Verbreitung steht der Krankenpflegeorden der Kamillianer im Kampf gegen die Lepra mit an vorderster Front. Der Gründer des Ordens, Kamillus von Lellis (1550-1614), lernte die Not der verlassenen Pestkranken kennen und rief für ihre Pflege eine Bruderschaft ins Leben, den Orden der "Diener der Kranken", kurz die Kamillianer. Was damals die Pestkranken waren, wurden dann die Leprakranken. Heute sind es immer mehr auch die Aids-Kranken - ein wichtiger neuer Schwerpunkt in der Arbeit des Ordens.
Der Kamillianerorden unterhält Krankenhäuser und Gesundheitsstationen, vor allem in der Dritten Welt:
in Asien: in Thailand, Taiwan und auf den Philippinen.
in Afrika: in Kenia, Benin und Burkina Faso.
Lepradörfer unterhalten die Kamillianer in Thailand (Khokwat, Chombung, Sri Vichien), in Indien (Eluru) und auf Madagaskar (Ilena, Isifotra), in Burkina Faso (Ouagadougou) und in Benin (Abomey).
Südamerika: In Kolumbien (Medellin und Bogotà) und im brasilianischen Urwald am Amazonas existieren besondere Einrichtungen zur Leprabekämpfung.
Seit einigen Jahren ist auch dort wieder Hilfe für Leprakranke möglich, wo die Kamillianer vor über 50 Jahren eine Reihe von Lepradörfern gegründet haben: in China.
Den Kranken dienen wie Jesus
Der Dienst an den Leprakranken hat seine tiefen Wurzeln im Evangelium. Von Jesus wird immer wieder erzählt, daß er Kranke geheilt hat, darunter auch viele "Aussätzige" (zum Beispiel im Markusevangelium, Kapitel 1, Verse 40-45 und im Lukasevangelium, Kapitel 17, Verse 11-18).
"Ein Aussätziger kam zu Jesus und bat ihn um Hilfe; er fiel vor ihm auf die Knie und sagte: Wenn du willst, kannst du machen, daß ich rein werde. Jesus hatte Mitleid mit ihm; er streckte die Hand aus, berührte ihn und sagte: Ich will es - werde rein! Im gleichen Augenblick verschwand der Aussatz, und der Mann war rein ..." (Mk 1,40 f.).
Lazarus der Patron der Leprakranken wird von Jesus ins Leben zurückgerufen (Wandteppich im Kamillianerkloster Neuss)
Der Patron der Leprakranken ist Lazarus. Von ihm erzählt das 16. Kapitel des Lukasevangeliums: "Sein Leib war voller Geschwüre ..." Jesus gab seinen Jüngern den Auftrag, das Evangelium zu predigen und die Kranken zu heilen (Matthäus, Kapitel 10, Vers 7 und folgende). Große Heilige haben sich in den Dienst an Leprakranken gestellt: Martin von Tours, Franz von Assisi, Elisabeth von Thüringen und in unserer Zeit Pater Damian Deveuster. Sie alle haben die Sorge um die Leprakranken auch als einen Dienst an Christus verstanden: "Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan" (Matthäus 25,40). Evangelisierung und Krankenheilung, dieser enge Zusammenhang wird heute verstärkt gesehen.
Lepra ist heilbar!
Lepra gilt als die uralte Geißel der Menschheit. Das Alte Testament erwähnt sie mit Schrecken. Zum Beispiel bei der Geschichte vom leidenden Hiob. Millionen Leprakranke gab es im Mittelalter in Europa. Heute ist sie bei uns bis auf Einzelfälle ausgerottet.
Dank moderner Medikamente kann man Lepra in jeder Phase zum Stillstand bringen. Lepra ist heilbar! Wie einst Pest und Pocken könnte man sie ausrotten. Raoul Follereau hat davon geträumt, und unzählige Menschen, auch die Kamillianer, arbeiten an der Verwirklichung dieses Traumes mit. Wichtig ist die Früherkennung und rechtzeitige Erfassung der Kranken, damit mit der Behandlung möglichst rasch begonnen werden kann.
Lepra ist kein Schicksal und kein Fluch. Lepra ist eine Krankheit, die man heilen kann. Millionen in aller Welt hoffen auf diese Heilung. Und hoffen damit auch auf unsere Hilfe!
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